Samstag, April 20, 2024
StartMagazinErnährung„Bemitleidenswerte“ Glaskugel Ernährungsforschung

„Bemitleidenswerte“ Glaskugel Ernährungsforschung

Eine weitere Million Beobachtungsstudien bringt: Nichts!

  • Beobachtungsstudien können keine Beweise liefern
  • Korrelationen sind keine Kausalitäten
  • Das ökotrophologische Universalcredo: Nichts Genaues weiß man nicht

Nachdem Teil 1 der VSMK-Serie offenbarte, dass die Verbraucherminister mit fantasievollen Zwangsmaßnahmen einem fetten Phantom nachjagen, und Teil 2 aufzeigte, dass für „ungesunde Dickmacher“ kein wissenschaftlicher Beweis existiert, liefert Teil 3 dieser Serie nun den fundamentalen Abschluss: Ernährungsforschung gleicht dem Lesen einer Glaskugel.

Klingt hart, aber muss man obektiv-ideolgiefrei (leider) so sehen. Warum, das erklären jetzt 20 Wissenschaftler aus D/A/CH, deren Einzelstatements schon eindeutig unzweideutig sind –jedoch erst zu einer Stimme konzertiert und in Zusammenhang gebracht, wird klar:

Es kann hier keine zwei Meinungen geben. Das sehen die zahlreichen powersellenden Ernährungspäpste & -päpstinnen natürlich ganz anders, aber – bilden Sie sich bitte ihr eigenes Urteil, um künftig die wild blubbernden postfaktischen Filterblasen ganz schnell zum Platzen zu bringen.

Der desolate Zustand ökotrophologischer Forschung ist in der Fachwelt schon lange bekannt. So erklärte der Direktor des deutschen Cochrane-Zentrums, das die Qualität wissenschaftlicher Studien bewertet, Prof. Gerd Antes bereits 2011:

„Die Ernährungswissenschaften sind in einer bemitleidenswerten Lage. Studien in diesem Bereich sind von vielen unbekannten oder kaum messbaren Einflüssen abhängig. Deswegen gibt es immer wieder völlig widersprüchliche Ergebnisse.“ [1] Nur ein Jahr später ergänzte sein „Studienbewertungskollege“ vom staatlichen IQWiG (Institut für Qualität und Wirtschaftlichkeit im Gesundheitswesen), Dr. Klaus Koch, zur Kernschwäche von Ernährungs-Beobachtungsstudien: „Epidemiologische Studien können normalerweise keine Beweise liefern. Punkt.“ [2]

Daher ist für Prof. Gabriele Meyer, ehemalige Vorsitzende des DNEbM e.V. (Deutsches Netzwerk Evidenzbasierte Medizin) und aktuell Mitglied im Sachverständigenrat von Bundesgesundheitsminister Jens Spahn, klar: „Beobachtungsstudien sind nicht geeignet, präventive oder therapeutische Empfehlungen abzuleiten.“ [3] Meyers Nachfolgerin als Vorsitzende des DNEbM e.V. (2015-2017), Prof. Ingrid Mühlhauser, Gesundheitswissenschaftlerin an der Uni Hamburg, erklärte Mitte 2016: „Beobachtungen, auch groß angelegte, sind keine ausreichende Grundlage für eine moderne Medizin.“ [4]

Einer der Gründe: Beobachtungsstudien liefern ausschließlich Korrelationen (statistische Zusammenhänge), jedoch niemals Kausalitäten (Ursache-Wirkungs-Beziehungen/Beweise). „Zusammenhänge zu beobachten heißt noch nicht, Ursachen zu erkennen“, so Mühlhäuser [4]. Im Forschungsfeld Ernährung sieht es 2017 so aus: „Im Moment ist eine ganz große Korrelationsära in diesem Feld – und die Tatsache, dass es korrelativ ist, bedeutet, dass man eigentlich sehr wenig sagen kann“, so Prof. Dirk Haller, Leiter Lehrstuhl für Ernährung und Immunologie am Wissenschaftszentrum Weihenstephan (WZW) und Direktor des ZIEL – Institute for Food & Health (interdisziplinäres Zentralinstitut der), Technische Universität München [4.1].

Eine weitere Million Beobachtungsstudien bringt: Nichts!

Auch in zahlreichen wissenschaftlichen Publikationen wurde jüngst immer wieder auf die systemimmanente Kernschwäche der Ernährungsforschung hingewiesen: Viele ihrer Ergebnisse seien „völlig unglaubwürdig“ – und auch eine „weitere Million Beobachtungsstudien“ würde keine endgültigen Lösungen liefern [5]. Aufgrund zahlreicher Schwächen dieser Untersuchungen werden Politiker zu „größerer Vorsicht bei Ernährungsempfehlungen“ angemahnt, da diese primär auf Beobachtungsstudien basieren, die nicht durch klinische Studien bestätigt wurden [6].

Prof. Peter Nawroth, Direktor Innere Medizin, Universitäts-Klinikum Heidelberg konstatiert klar, dass bei keinem Patienten mit Diabetes, Krebs oder Herzkreislauf-Erkrankungen ein Arzt diagnostizieren könne: „Sie haben zu wenig Obst und Gemüse gegessen“ oder „Sie haben zu viel Fleisch gegessen und zuviel Fruchstsaft getrunken“. Das sei nicht möglich. „Ein kausaler Rückschluss der Erkrankungsgeschichte auf ein spezielles Essverhalten ist nur in extremen Einzelfällen möglich, in der Regel lässt sich dazu nichts sagen“, erklärt Nawroth.

Auch eine „Vorbeugung von Volkskrankheiten mittels spezieller Ernährungsempfehlungen“ durch Ärzte sei medizin-ethisch nicht vertretbar, denn dafür fehlten die wissenschafltichen Belege. Für Nawroth sind Ernährungsregeln „unwissenschaftlich und durch nichts belegt“. Die Bedeutung von gesunder Ernährung für ein längeres, gesünderes Leben wird aus seiner Sicht völlig überschätzt, die Empfehlungen in Sachen Vollkorn, Fett oder Vitamine hält er für „totalen Blödsinn“. [6.1.]

„Nicht genügend wissenschaftliche Evidenz“

Dementsprechend war es nur eine Frage der Zeit, bis im Februar 2016 Prof. Peter Stehle, Präsidiumsmitglied der DGE e.V. (Deutsche Gesellschaft für Ernährung) öffentlich offenbarte, dass die Ernährungsforscher ein Problem haben: „Wir können nicht genügend wissenschaftliche Evidenz liefern.“ Denn das sei „tatsächlich schwierig, das Liefern von Belegen.“ Die beobachteten Ergebnisse der Ernährungsforschung seien daher „argumentativ natürlich sehr, sehr schwach. Aber das war immer so und wird so bleiben.“

Denn zu diesen Studien, die harte Evidenz, also Beweise für beispielsweise gesunde Ernährung liefern, erklärt Stehle: „Solche Interventionsstudien wird es nie geben.“ Auch auf die Frage, wie hoch der Einfluss der Ernährung auf die Gesundheit (Verfassung) ist, spricht Stehle Klartext: „Das lässt sich nicht quantifizieren. Niemand weiß das.“ [7] Sein Kollege Prof. Manfred J. Müller, ehemaliger Leiter des Instituts für Humanernährung an der Universität zu Kiel erläutert en Detail: „Kein Wissenschaftler kann Ernährung genau messen. Das wiederum bedeutet: Alle in den letzten 20 bis 30 Jahren publizierten Beobachtungsstudien zu den Zusammenhängen zwischen Ernährung und Gesundheit/Krankheit waren und sind fragwürdig. Es könnte also sein, es könnte aber auch nicht sein. Wenn diese Ergebnisse dann in die Öffentlichkeit gelangen, dann ist das sehr schade, denn: Diese Ergebnisse besagen ja nichts.“

Einer der vehementesten Kritiker der „Glaskugel“ Ernährungsforschung ist Prof. John P. Ioannidis, Stanford University, der im August 2018 Klartext redete: Ernährungsstudien seien voll von methodischen Mängeln und daher nicht aussagekräftig. Ergo empfiehlt er den Autoren von Ernährungsstudien: Nochmals von vorn anfangen! [7.1.]

„Gesunde Ernährung? Kann man nicht so genau definieren“

Ach wie gut, dass jemand weiß, warum das niemand weiß – so erklärte der wissenschaftliche Vorstand des DIfE (Deutsches Institut für Ernährungsforschung), Prof. Tilman Grune, im August 2016: „Gesunde Ernährung kann man gar nicht so genau definieren.“ [8]

Sein Kollege Prof. Achim Bub vom Max-Rubner-Institut (MRI), dem Bundesforschungsinstitut für Ernährung und Lebensmittel in Karlsruhe, stellte nur einen Monat später klar: „Wir wissen herzlich wenig über Ernährung.“ [9]. Dr. Walter Burghardt, Ernährungsmediziner am Universitätsklinikum Würzburg und Vorstandsmitglied im Bundesverband deutscher Ernährungsmediziner konkretisierte kurz danach: „Wissen wir denn tatsächlich so genau, was wir brauchen? So weit ist die Medizin noch nicht.“ [10]

Dieses Kernproblem des „fehlenden Wissens“ ist grenzübergreifend bekannt und benannt: „Einerseits wird ständig propagiert, wie wichtig eine gesunde Ernährung ist. Auf der anderen Seite hat die Ernährungswissenschaft bis heute keine schlüssigen Studien für die optimale Ernährung vorgelegt“, mahnte Prof. Jürgen König, Leiter Ernährungswissenschaften, Universität Wien im Oktober 2016 [11].

Sein österreichischer Kollege Prof. Gerald Gartlehner, Leiter des Departments für Evidenzbasierte Medizin (EbM) der Donau-Uni Krems, erklärt die zwei wesentlichen Gründe für diesen Mangel an schlüssigen Studien: „Gute Ernährungsstudien sind sehr schwierig durchzuführen, da viele unterschiedliche Faktoren einen Einfluss haben und das Ergebnis verzerren können. Wir wissen etwa, dass Menschen, die sich ausgewogen ernähren, auch eher Sport treiben und mehr auf ihre Gesundheit achten. Zudem fehlt es in diesem Bereich an finanzieller Power.“ [12]

Und so fragte die FAZ zu Recht: Was ist denn nun wirklich ein gesundes Essen für den Normalbürger? „Tatsächlich weiß das auch heute niemand“, erklärte der Ernährungsmediziner Prof. Hans Konrad Biesalski von der Universität Hohenheim im September 2017 [12.1.]

„Folgen Sie dem Gespür für den eigenen Körper“

Dementsprechend dünn ist auch das Fazit zu gesunder Ernährung von Experten der Hochschule Fulda: So erklärt Prof. Christoph Klotter: „Meiner Meinung nach kann heutzutage ohnehin keine allgemeine Ernährungsempfehlung mehr ausgesprochen werden. Jeder Organismus verstoffwechselt Nahrung unterschiedlich.“

Und weiter: „Es ist schwierig, genau zu sagen, was gesunde Ernährung ausmacht und was nicht. Viele vermeintliche Erkenntnisse sind ins Schwanken geraten … Daher können wir nicht sagen, was alle Menschen unbedingt zu sich nehmen sollen.“ Für Haller ist es daher das „Gebot der Stunde“, überhaupt keine spezifischen Ratschläge in Sachen gesunder Ernährung zu geben [4.1]. Statt Regeln empfiehlt Klotter: „Wenn jeder für sich herausfindet, was gut für ihn ist, finde ich das fantastisch.“ [13; 13.1] Seine Fuldaer Hochschulkollegin Kollegin Prof. Jana Rückert-John, ergänzt: „Was am Ende dann bleibt, ist sich ausgewogen zu ernähren.“

Dabei solle man von allem essen und die „Lust und den Spaß am Essen im Zuge des ganzen Gesundheitswahns nicht verlieren.“ [14] Wie einfach das geht, erläuterte Dr. Margareta Büning-Fesel, Vorstand des aid infodiensts und Leiterin des von Bundesminister Christian Schmidt 2017 eröffneten „Bundeszentrum für Ernährung“, im Mai 2016: „Ich bin überzeugt davon, dass jeder Mensch in der Lage ist, die für ihn beste Ernährung für sich zu entdecken. In erster Linie sollte man dabei seinem Geschmack folgen. Und dem Gespür für den eigenen Körper.“ [15] Im März 2017 ergänzte Büning-Fesel die eigentliche Gretchenfrage und „die sollte sein: Was ist gut für mich – und was nicht?“ [16] Hingegen sollten „gesundheitsbezogene Aussagen über Ernährung stets mit einer gesunden Portion Skepsis betrachtet werden“, so Dr. Rainer Spenger, Geschäftsführer des österreichischen Vereins für Konsumenteninformation (VKI) [12].

Prof. König bringt es Ende Mai 2017 auf den Punkt: „Wer ein bisschen über seine Ernährung nachdenkt, braucht keine Ernährungspyramide, sondern nur den gesunden Hausverstand.“ [17] Seine Schweizer Kollegin, Prof. Christine Brombach, ZHAW Zürcher Hochschule für Angewandte Wissenschaften, liefert dazu die passende praktische Empfehlung: „Essen Sie, was Sie wollen, aber in vernünftigen Mengen.“ [18]

Das (vor)letzte Wort gebührt SPD-„Gesundheitsminister in spe“ Prof. Dr. Karl W. Lauterbach, der im März 2017 auf die Frage eines WDR5-Reporters, ob man sagen könne, „Die einzig sinnvolle Ernährung, die gibt es nicht?“ antwortete: „Das kann man auf jeden Fall sagen. Das ist klar.“ [19] Dem stimmt Prof. Klotter umissverständlich zu: „Es gibt nicht die eine richtige Ernährung für alle.“ [20]

In diesem Sinne folgt nun abschließend ein „ökotrophologisch adaptiertes“ Zitat des Philosophen Paul Watzlawick:

Es gibt so viele gesunde Ernährungen, wie es Menschen gibt, denn: Jeder Mensch is(s)t anders.

Vertrauen Sie beim Essen daher intuitiv auf Ihre ganz individuellen Gefühle Hunger, Lust, Sättigung und vor allem Verträglichkeit. Denn: Wie kann etwas gesund für Sie sein, das Ihnen nicht schmeckt und das sie schlecht vertragen?

___

QUELLEN:
[1] Süddeutsche Zeitung „Falsche Früchtchen“

[2] Spiegel online, „Überschätzte Gesundheitsstudien: Wer zu viel glaubt, bleibt dumm“

[3] Novo Argumente, „Ernährungsregeln – wo bleiben die Daten?“

[4] brand eins, „Das Vertrauen in die Medizin sollte erschüttert werden“

[4.1] Das Abnehm-Paradox (Video: Was ist gesunde Ernährung?)

[5] Implausible results in human nutrition research – Definitive solutions won´t come from another million observational papers or small randomized trials

[6] Limitations of Observational Evidence: Implications for Evidence-Based Dietary Recommendations

[6.1] SWR Doku über die Furcht vor der Fehlernährung

[7] Bonner General Anzeiger, „Der Verbraucher versteht das Wort Risiko nicht“

[7.1] Neue Zürcher Zeitung NZZ: Ins Essen verbissen

[8] Märkische Allgemeine: Wissenschaft in Potsdam

[9] Lübecker Nachrichten: „Nahrungsergänzung? Braucht kein Mensch!“

[10] Main-Post: „Gesunde Ernährung: Auch mal ein paar Gummibärchen“

[11] Süddeutsche.de: „Ernährungswahn“

[12] Der Standard: „Ernährung: Boom, Mythen und Gerüchteküche“

[12.1] FAZ: Eine einzige fette Lüge

[13] doccheck: „Brotzeit schlägt Steinzeit“

[13.1] Spiegel online: „Keine Religion aus dem Essen machen“

[14] n-tv.de: „Günstiges Essen ist Wohlstandsindikator“

[15] GEO Wissen Gesunde Ernährung, Nr.1 2016, S.111

[16] Badische Zeitung: „Ernährungsirrtümer – gibt es gesundes und böses Essen?

[17] Der Standard: „Essen: Was uns aufbaut, was uns schadet“

[18] bluewin.ch: „Wir leben in einer Mampf- und Fress-Gesellschaft“

[19] WDR 5 Funkhausgespräche: „Wenn Ernährung zur Sünde wird“

[20] Apotheken Umschau: „Ernährung wird ideologisch überfrachtet“

Uwe Knop (Diplom-Oecotrophologe)
Uwe Knop (Diplom-Oecotrophologe)http://www.echte-esser.de
Uwe Knop (geb. ´72) ist Diplom-Ernährungswissenschaftler und Medizin-PR-Experte. Er arbeitet seit fast zwei Jahrzehnten in der PR & Kommunikation in den Bereichen Medizin und Gesundheitspolitik. So ist er bestens damit vertraut, wie durch die tägliche Veröffentlichung von zu viel „gesundheitsförderndem Unsinn“ Meinungen insbesondere zu „gesunder Lebens- und Ernährungsweise“ in die Köpfe der Menschen gelangen. Mit seinen Büchern möchte er ein möglichst naturnahes Gegengewicht zu dieser pseudowissenschaftlichen Manipulierungsmaschinerie schaffen. Knop ist dabei frei von Interessen Dritter, sodass er keine Produkte, Therapien oder besondere Essformen empfiehlt. Seine Intention gilt allein dem Ziel, dass die Menschen ihrer Kulinarischen Körperintelligenz wieder mehr Vertrauen schenken und dafür meist finanziell motivierte Fremdbestimmung ablegen. Weiter möchte er mit seinen Büchern der gesellschaftlichen Diskussion zum Thema Ernährung neuen lebensechten Schwung verleihen, da diese sich derzeit in einer wissenschaftlichen Schieflage befindet.

Kommentieren Sie den Artikel

Bitte geben Sie Ihren Kommentar ein!
Bitte geben Sie hier Ihren Namen ein

Immer zuerst informiert

624FollowerFolgen

Aktuellste THEMEN

Aktuell

Beliebt auf Adeba