„Schön ist die Welt auf Hiddensee. Eine Insel Capri inmitten der Ostsee“ so schwärmt ein Journalist von Hiddensee vor 90 Jahren im „Neuen Wiener Journal“. Das schmale Handtuch mit knapp 19 Kilometern Länge und einer Breite von ein paar hundert Metern bis zu drei Kilometern westlich der großen Insel Rügen gelegen, hat seit jeher durch seine Küstenlandschaft eine unwiderstehliche Anziehungskraft.
Sie ist nicht nur ein schon frühzeitig gehütetes Naturschutzgebiet – heute Teil des Naturparks Vorpommersche Boddenlandschaft, sondern gilt auch als ein Künstlerparadies und Insel der Prominenten. Und natürlich ist das kleine Eiland „Sötes Länneken“ (süßes Ländchen) wie es bei Einheimischen genannt wird, seit vielen Jahrzehnten zunehmend ein sehr attraktives Reiseziel.
Schifffahrt in Coronazeiten auf Hiddensee
Zu gegenwärtigen Zeiten kann auch der Reisende nach Hiddensee keinen Urlaub von Corona, sondern nur mit Schutzmaßnahmen vor Corona machen. Der Corona-Hype reist auch mit, wenn er im Stralsunder Hafen das Ausflugsschiff MS „Hansestadt Stralsund“ besteigt. Das Schiff ist gut besetzt, unter Deck Maskenpflicht, auf Deck müssen Plätze wegen der vorgeschriebenen Distanz frei bleiben.
Das Virus ist zwar laut aller statistischer Fakten und Zahlen erst mal weg, aber trotzdem befolgen die Fahrgäste geduldig die offiziösen Regeln. Nicht wenige Fahrgäste haben ihre Fahrräder mit an Bord. Das schafft zwar etwas Enge, aber signalisiert allen auf dem Schiff zusätzlich, wohin die gemütliche zweieinhalb Stundenfahrt durch den Strelasund geht – auf eine autofreie Insel. Eine Zwischenstation ist Neuendorf auf Hiddensee, bevor die Fahrt im Hafen des Inselortes Kloster endet.
Das kulturelle Zentrum der Insel Hiddeensee
In erster Linie zieht es die Menschen nach Hiddensee wegen der Ruhe, so heißt es in
Urlaubsprospekten. Der Ort Kloster, dessen Name auf ein Zisterzienserkloster aus dem 13.
Jahrhundert zurück geht, versteht sich als ein kulturelles Zentrum der Insel mit einer Mischung aus Seebad, Künstlerkolonie, Feriendomizil und Fischerdorf. Doch in dem Ort Kloster mit seinen 300 Einwohnern ist schon zu Beginn der Saison Mitte Juni von Ruhe nicht all zu viel zu spüren. Dafür sorgen im Ort auf den nicht so breiten Sandwegen die Tagesbesucher zu Fuß und per Fahrrad, eine handvoll Pferdekutschen für Touristen sowie eine ganze Reihe kleiner Geschäfte und Gaststätten.
Dennoch ist Flanieren angesagt und macht den Besuchern Spaß. Beim Angebot in Insellage dürfen sie in Restaurants und Cafes allerdings nicht auf den Cent schauen. Eine Kugel Eis auf die Hand kostet stolze 2,40 Euro.
Bi uns scheint de Sünn öfters
Direkt am Hafen von Kloster ist seit 1998 die Wetterstation auf Hiddensee in einem eigenen kleinen Haus eingerichtet. Der Meteorologe Stefan Kreibohm ist hier zusammen mit einem Kollegen schon mehr als zehn Jahre im Auftrag des NDR täglich auf Sendung (NDR-Fernsehen und Radio) und gehört mit seiner Bildschirm-Präsenz zu den Prominenten in der heutigen Medienwelt. Der Wettermann Kreibohm kann auch bestätigen, was die Insulaner schon lange und immer wussten:
„Bi uns scheint de Sünn öfters as över Land!“ Die Ostseeküste kann durchaus ihren Ruf mit sonnenverwöhnten Stränden behaupten: Auf Usedom 1.900 Stunden Sonnenschein im Jahr, Hiddensee kommt sogar auf 100 Stunden mehr im Jahr – das kann sich sehen lassen. Die Fachwelt erklärt dieses Phänomen beispielsweise durch den Stau der Wolken in den Bergen von Westnorwegen. Allerdings kommt Kreibohm dank der Ausrüstung mit Wetterradar, Satellitenbildern und Computermodellen eher zu dem wissenschaftlich begründeten Urteil, dass die Bewertungen als Sonneninsel auch Schauer, Regen und Sturm beinhalten.
Selbstbewusst schätzt der Meteorologe ein, dass immerhin neun von zehn Wettervorhersagen richtig sind. Der Geheimtipp für Hiddensee-Besucher: NDR Wetterbericht. Ob die Vorhersage allerdings immer für jeden kleinen Winkel auf der Insel zutrifft, will Kreibohm nicht behaupten.
Ostseefischer in Not
Für authentische Fischgerichte auf Hiddensee empfiehlt der in Stralsund beheimatete Schifffahrts-Journalist Peer Schmidt-Walter die Fischbarkasse „Willi“. Sie ist etwas abseits von der Anlegestelle der weißen Flotte an einem Landungssteg im Hafen von Kloster fest gemacht. Es haben sich eine Menge Kunden eingefunden und der alte Fischer Hubert Türke hilft beim Verkauf mit aus. Er gehört zu den Fischerfamilien der Insel, die seit Generationen in der Ostsee mit Fischkuttern auf Fischfang gehen.
Doch für die Ostseefischerei, die über die Jahrhunderte so manche Stürme und Kriege überdauerte, sind die letzten Tage gezählt. Die EU hat 2020 für die Ostsee verschärfte Fangquoten festgelegt und damit das Totenglöcklein für die wenigen noch verbliebenen Fischer geläutet. Die Einschränkung des Fischfangs beläuft sich auf 0,7 Tonnen Hering und 0,7 Tonnen Dorsch für ein ganzes Jahr (s.a. Beitrag über Usedom-Fischer).
Als die Schlange der Fischkunden abgebaut ist, klettert Fischer Türke aus seiner Barkasse und geht über den Laufsteg zu seinem Fisch-Kutter. Er schüttelt den Kopf und will mit niemanden mehr über Fangquoten reden. Aber dann dreht er sich doch um und sagt: „Seit diesem Jahr darf ich nicht mehr mit meinem Kutter zum Fischen fahren, nur noch damit…“ und er deutet in Richtung eines kleinen Motorbootes, wie es Angler benutzen.
Es zeigt sich überdeutlich, dass diese noch verschwindend geringe Zahl der Fischer keine Lobby hat. Und so werden EU Entscheidungen auf Basis durchaus umstrittener Untersuchungen über angeblich drastisch sinkende Fisch-Bestände ohne große Diskussion durch deutsche Politiker durchgewinkt. Übrigens kann der Besucher in dem wunderbaren Stralsunder Museum Ozeaneum auch sehr eindrucksvolle Zahlen zum weltweiten Fischfang erfahren. Auf der gesamten Erde werden 2,5 Tonnen Fisch je Sekunde gefangen, pro Jahr 80 Millionen Tonnen. Und mit gigantischen Schleppnetzen (bis zu 2000 Meter lang und mit einer bis zu 200 Meter breiten Öffnung) können bei einem einzigen Zug etwa 50 Tonnen (!) Fisch gefangen werden. Fischer Türke sollte diese und andere Zahlen über den heutigen industriellen Fischfang besser nicht erfahren.
Eines der schönsten Dichterhäuser Deutschlands
Die große Zahl von berühmten Inselbesuchern, angefangen bei Gerhard Hauptmann bis zu
Siegmund Freud, sorgte nicht nur für die Herausbildung einer exklusiven, ja fast mondänen Marke Hiddensee. Zugleich wurden besonders bei schlechtem Wetter für den Urlauber wunderbare Erinnerungs- und Begegnungsstätten für Kultur und geistiges Leben geschaffen. An erster Stelle ist zweifellos das nur 15 Minuten vom Hafen in Kloster entfernt liegende Gerhart Hauptmann Haus zu nennen.
Für den Literaturnobelpreisträger wurde die Insel lebenslang sein Inspirations- und Rückzugsort. Im Jahr 1929 erwarb er ein eigenes Haus und baute es zu einem Sommerhaus um. Nunmehr ist es ein einzigartiges Zeitzeugnis der Künstlerinsel Hiddensee und eines der schönsten Dichterhäuser Deutschlands. Hier findet der interessierte Besucher Arbeits- und Wohnräume, Kreuzgang und Weinkeller und eine Terrasse, alles im Originalzustand erhalten. In der Künstlerresidenz, in der auch Lesungen und Konzerte stattfinden, wird auch Literatur- und Zeitgeschichte präsentiert und sogar eine gut sortierte Buchhandlung mit schönem Ausblick auf die Hiddenseer Wiesen.
Natürlich ist auch bei bestem Sonnenwetter ein Besuch bei Gerhart Hauptmann zu empfehlen. Wenn sich die Urlauber am Strand räkeln ist bei einem Rundgang garantiert, dass man etwas von der Ruhe und Einsamkeit Hiddensees spürt, die der einstige Hausbesitzer mit seinen Gästen an der Insel so hoch schätzte.
Text und Fotos: Ronald Keusch ; Juni 2020