Wieso sollten Eltern schon mit Babys Bücher und Zeitschriften anschauen?
Kirsten Boie: „Alle Babys mögen es, mit einem Menschen, den sie lieb haben, Bücher zu begucken: Auf dem Schoß, aneinander gekuschelt, bringt das für beide eine ganz besondere Erfahrung von Nähe. Jeden Tag eine halbe Stunde, möglichst immer zur selben Zeit, verlässlich und gemütlich: Dieses Gefühl von Vergnügen, Zuwendung und Wohlbefinden verbinden Bücherbabys dann für den Rest ihres Lebens mit Büchern. Für Bücherbabys ist ein Buch darum auch später ein Anblick, der Freude auslöst, und kein Lerngegenstand, vor dem sie Angst haben. In der Schule finden sie damit einen leichteren und fröhlicheren Zugang zum Lernen. Das haben Untersuchungen in vielen Ländern bestätigt.“
Wie wirkt sich die frühe Leseförderung genau aus?
Kirsten Boie: „Mit Büchern geben wir unseren Kindern einen besseren Start ins Leben. Schon mit einer halben Stunde Bücherzeit am Tag lernen Bücherbabys ganz nebenbei ziemlich viel. Sie können früher und mit mehr Vergnügen sprechen und behalten ihren Sprachvorsprung ein Leben lang. Sie lernen auch immer besser, sich auf eine Sache zu konzentrieren – eine andere wichtige Fähigkeit für den späteren Erfolg nicht nur in der Schule. Wer mit seinen Kindern regelmäßig Bücher ansieht, gibt ihnen etwas Unersetzliches für ihr ganzes Leben mit. Nicht nur, dass die gemeinsame Bücherzeit Geborgenheit und Spaß bedeutet; nicht nur, dass Bücherkindern das Lernen leichterfallen wird, sie besitzen auch ihr Leben lang in jeder Situation eine Quelle für Spaß und Spannung und Trost. Darum sollten wir uns und unseren Kindern diese tägliche halbe Stunde schenken.“
Was ist die beste Art, mit Babys und Kleinkindern Bücher anzuschauen?
Kirsten Boie: „Babys lernen mit allen Sinnen. Sie wollen ein Buch greifen, hochhalten, anbeißen. Sie wollen noch keine ganze Geschichte vorgelesen bekommen, aber sie lieben vertraute Stimmen, Reime, Lieder, Fingerspiele und Kniereiter. Und sie lieben endlose Wiederholungen, weil sie sich freuen, etwas wiederzuerkennen.“
Besteht die Gefahr, dass die Babys überfordert werden?
Kirsten Boie: „Niemand spürt so gut wie die Babys selbst, was sie schon verstehen und welcher nächste Entwicklungsschritt ansteht. Und der ist nicht bei allen Kindern gleich. Darum dürfen sie jederzeit unterbrechen, dürfen vor- und zurückblättern und auch mal in die Pappseiten beißen. Allmählich begreift trotzdem jedes Kind, dass Bücher Geschichten erzählen, und allmählich will auch jedes Kind sie hören. Aber nicht zu Anfang. Da geht es noch hin und her, da müssen tausend Fragen beantwortet werden, da darf dabei auch ordentlich gelacht und Quatsch gemacht werden, und manches Kind denkt sich selbst etwas zu den Bildern aus. Bücherbegucken soll Eltern wie Kindern vor allen Dingen Spaß machen, Großen wie Kleinen. Mit Spaß lernt man am besten!“