Derzeit dominiert in Deutschland ein Problem: Zucker. Zahlreiche Organisationen überbieten sich im Übereifer der postfaktischen Hetzjagd auf den neuen „Teufel auf dem Teller“. Zucker weg, alles gut? Nonsens!
Wir haben ihn. Den kristallinen Killer, der die Menschheit krank, dumm und fett macht und für einen frühen Tod sorgt: Zucker, der lautlose allgegenwärtige Assassine – auch inkognito in Todesmission unterwegs unter den Aliassen Glucose, Fruktose, Saccharose und weiteren Decknamen.
Derzeit überbieten sich zahlreiche Organisationen in bemerkenswertem Übereifer in ihrer Pressearbeit mit polemischen Forderungen nach Zuckersteuer, -reduktion, -werbeverboten und weiteren Zwangs- und Regulationsmaßnahmen, um „die Bürger und vor allem die kleinen Kinder vor den Gefahren des süßen Gifts zu schützen“.
So warnte jüngst das Leibniz-Institut für Präventionsforschung und Epidemiologie (BIPS) die Eltern eindringlich davor, „bisschen Zucker auf die frischen Erdbeeren oder den Naturjoghurt zu streuen“, da dies die Kinder bewiesenermaßen fetter mache. Und in einer großen süddeutschen Zeitung war am gleichen Tag zu lesen: „Die Industrie muss sich darauf einstellen, dass Zucker ähnlich streng wie Alkohol und Zigaretten reguliert werden könnte.“
Im Fokus der ernährungsapostolischen Missionierung steht dabei klar eine Steuer auf Lebensmittel, die zu viel vom „süßen Teufelszeug“ enthalten – denn diese Zwangsabgabe wird als der gelobte Heilsbringer gehypt: Sie soll uns alle gesünder und schlanker machen. Der kleine Haken an der Hetzjagd auf die Zuckersau, die durchs Dorf getrieben wird, ist nur: Es fehlen wissenschaftliche Beweise.
Null Evidenz!
Zum einen ist die Warnung „zu viel Zucker“ nicht mehr als eine hohle Phrase, für die keinerlei wissenschaftlich gesicherte Grenzwerte vorliegen. Was ist zu viel? Es ist unmöglich, dazu evidenzbasierte Aussagen zu treffen, denn: Jeder Mensch is(s)t anders. Des Weiteren gibt es keinerlei Kausalevidenz, dass Zucker krank oder dick macht – was daran liegt, dass die bemitleidenswerte Ernährungswissenschaft modernem Glaskugellesen gleicht.
Denn aufgrund massiver Limitierungen seiner Datengrundlage, basierend auf unüberprüfbaren Eigenangaben der Probanden und beweisfreien Beobachtungsstudien, kann dieser Forschungszweig keine Ursache-Wirkungs-Beziehungen (Kausalitäten) liefern, sondern nur banale wachsweiche statistische Zusammenhänge (Korrelationen) im Sinne von „Wer mehr Bananen isst, lebt länger – Bananen verlängern das Leben!“ Ergo fehlt Evidenz sowohl für „gesunde Ernährung“ im Allgemeinen als auch für spezielle Lebensmittel und erst recht für einzelne Inhaltsstoffe.
Last but not least: Niemand ist in der Lage zu belegen, dass eine Zuckersteuer zu weniger Fettleibigkeit, Diabetes, Schlaganfällen und sonstigen Krankheiten oder gar zur sinkender Mortalität (Sterblichkeit), dem härtesten aller klinischen Endpunkte, führt. So konstatierte im „Tagesspiegel“ auch jüngst Prof. Susan Jebb, Ernährungswissenschaftlerin an der Universität Oxford, die mehr als zehn Jahre Chefberaterin mehrerer britischer Regierungen zum Thema Ernährung und Übergewicht war, klar:
„Ob es (Zuckersteuer) zu weniger Übergewicht führt, ich glaube, wir werden nicht in der Lage sein, das zu messen.“ Hinzu kommt, dass keiner sicher prognostizieren kann, ob eine „Zuckersteuer“ nicht sogar mehr Schaden anrichtet als sie nutzt.
Die Mär der „dicken Kinder“
Insbesondere die „Generation dicke Kinder“, die immer wieder als Grund für den Anti-Zucker-Aktionismus herangezogen wird, existiert schlicht nicht – sie ist ein artifizielles Konstrukt der Panikpropaganda. Laut KiGGS-Studie („Studie zur Gesundheit von Kindern und Jugendlichen in Deutschland“), der einzig relevanten Verlaufsstudie, waren im Jahr 2017 gerade einmal 5,9 Prozent der Kinder und Jugendlichen in Deutschland adipös, also das, was man allgemein als „fettleibig“ bezeichnet.
Im Vergleich zu 2006 ist die Quote stabil geblieben: Das RKI konnte keinen Anstieg beobachten. Aktuelle Zahlen der Krankenkasse DAK liegen sogar noch weit darunter, konkret bei nur 3 Prozent. Oder anders: 97% des hiesigen Nachwuchses ist nicht fettleibig. Hinzukommt: Das Gros der adipösen Kinder und Jugendlichen lebt in sozial schwachen Schichten, oft mit Migrationshintergrund.
Wer den fettleibigen Kids wirklich gezielt helfen will, der trommelt nicht öffentlich lautstark nach einer evidenzbefreiten Zuckersteuer, sondern investiert in lebensnahe Maßnahmen für sozial schwache Familien. Doch hier passiert nichts, genauso wenig wie am spindeldürren anderen Ende der Skala: Etwa doppelt bis dreimal so viele Kinder gelten als untergewichtig.
Statistische Taschenspielertricks als Volksverdummungsbasis
Dass die Zahlen „juveniler Adipositas“ so niedrig sind und seit Jahrzehnten nicht weiter ansteigen, wissen auch die Prediger pro Zuckersteuer. Nichtsdestotrotz wird vor kindlichen „Adipositas-Epidemien“ und „Fettleibigkeits-Schwemmen“ gewarnt, um auf der Angstwelle der Bürger zum Ziel zu surfen:
Zuckersteuer!
Zu diesem Zweck benutzen die „Kampagneros“ immer wieder gerne folgender Taschenspielertrick: Sie vermischen die Begriffe „übergewichtig“ und „fettleibig“, um die Steuerrechtfertigungs-Dicke-Kinder-Quote in die Höhe zu treiben.
15 Prozent klingt einfach „besser“ als 3 bis 6. Während Adipositas durchaus auf medizinische Probleme hinweisen kann, gibt es keine Belege dafür, dass „normales“ Übergewicht in irgendeiner Weise schädlich ist. Es handelt sich vielmehr um einen Kampfbegriff, der ausschließlich diskriminiert und exkludiert: Eltern und deren übergewichtige Kinder fühlen sich nicht mehr zur „normalen“ Bevölkerung dazugehörend, obwohl sie gesund sind.
Kinder trinken kaum Softdrinks
Erwähnt werden muss noch folgendes, da insbesondere die Rufe nach einer Zuckersteuer auf Softdrinks mehrstimmig und nachhaltig durch die Lande hallen: Aktuellen Zahlen der KiGGS-2-Studie des Robert Koch-Instituts zufolge trinken über 80% der Kinder und Jugendlichen weniger als 1x am Tag Limo & Co(la).
Hinzu kommt: Der tägliche Konsum zuckerhaltiger Erfrischungsgetränke ist in den vergangenen Jahren gesunken. Ein Beweis, dass dieser geringe Konsum gezuckerter Getränke kausal zu den 3-6% adipösen Kindern und Jugendlichen beiträgt, existiert nicht. Übrigens fehlt diese Evidenz auch bei Erwachsenen vollumfänglich.
„Erfolge“ der Zuckersteuer: Aufgeblähtes Nichts!
Auch beim gerne kolportierten „Erfolg“ von bereits eingeführten Steuern, wie zum Beispiel in Mexiko oder jüngst Großbritannien, wird bewusst mit zweierlei Maß gemessen. Richtig ist, dass der Zuckeranteil in Getränken als auch deren Konsum im Mexiko zurückgegangen ist, seitdem es eine entsprechende Sondersteuer gibt. Aber es gibt keinen Nachweis dafür, dass es auch nur einen Fall weniger von Diabetes, Schlaganfall oder auch nur eine Gewichtsreduktion gegeben hat, die darauf zurückzuführen wäre.
Hinzu kommt ein gewichtiges Risiko, das einem Blindversuch mit Bürgern als Versuchskaninchen gleicht: In England wurde der in Softdrinks entfernte Zucker durch Süßstoffe ersetzt. Doch diese Zuckersurrogate korrelieren in nahezu allen Beobachtungsstudien mit einem erhöhten Risiko für Adipositas – und sie werden bekanntermaßen als „Hungeranheizer“ in der Schweinemast eingesetzt. Macht die Zuckersteuer limotrinkende Briten nun etwa fetter? Schwappt eine Welle Schweppes-Schwabbel auf das vereinigte Königreich zu?
Erst der Brexit, dann der Slexit (slim-exit)?
Steuer auf Trauben und Zucker-im-Kaffee?
Man muss eindringlich davor warnen, dass Nahrungsmittel oder gar einzelne Inhaltsstoffe aus nicht belegbarer missionarischer Überzeugung dem derzeit omnipräsenten Gesundheitswahn geopfert werden.
Vor zehn Jahren galten Fett und Cholesterin als die bösen Nahrungsmittelbestandteile schlechthin und heute – sind sie rehabilitiert. Was, wenn wir gerade nur der nächsten Ernährungshysterie aufsitzen?
Soll auch direkt gepresster Orangensaft zwangsbesteuert teurer werden, weil er mehr Kalorien als Fanta enthält und dazu noch viel Fruchtzucker (Fruktose), der noch „ungesünder“ sei als Haushaltszucker? Oder brauchen wir Steuern auf frische Trauben, die fast 50 Prozent mehr Zucker enthalten als Cola?
Besonders kurios wird es, wenn man das absolute Lieblingsgetränk der Deutschen zum „kulinarischen Steuerschafott“ schleift:
Ein Drittel der Deutschen Kaffeetrinker süßen ihren täglichen halben Liter mit Zucker – gelten nun auch diese Tassen als Süßgetränk und müssen „pro Löffel“ besteuert werden? Warum nicht gleich eine Steuer auf alle Lebensmittel mit mehr als 300 Kcal pro Portion, denn letztlich macht der langfristig überbordende Kalorienexzess fett, egal womit man sich mästet. Selbst des Säuglings liebster „Softdrink“ Muttermilch ist voller Zucker und schmeckt süß!
Wo also fängt man an, wo hört man auf mit der hochkalorischen Steuereintreibung? Am besten: Nirgends. Denn es ist nicht mehr als die reine Willkür ganz im Sinne der Myriaden aktueller Besser-Esser-Hypes: „frei von“ wissenschaftlicher Kausalevidenz dafür voll von Fakenews. Der Anteil wirklich bedenklich schwerer Kinder und Jugendlicher ist sehr niedrig und in der Gesellschaft absolut ungleich verteilt, sodass ein „Gießkannen-Selbstzweck“ Zuckersteuer dem berühmten „Mit der Schrotflinte auf Spatzen schießen“ gleicht.
Mehr evidenzbasierte und wissenschaftlich-objektive Aufklärung über Ernährung schadet sicherlich nicht – vor allem wenn sie sich ganz gezielt an den wirklich betroffenen Zielgruppen orientiert. Mehr postfaktische Bevormundungsfantasien ohne Sinn und Relevanz hingegen braucht niemand. Zuckersteuer? Nicht mehr als ein süßer Traum der Ernährungsideologen.
Insofern ist es begrüßenswert, dass sich „Vater Staat“ hier nicht einmischen wird, denn gemäß jüngsten Infos von November 2018 aus Kreisen der Bundesregierung zufolge ist derzeit keine Zuckersteuer geplant. Lobenswertes Standing, deutsche Politiker