Auch deutsche Gerichte erkennen Sharia-Recht an und wenden es auch ggf. zwingend an, wenn es den grundlegenden deutschen Rechtsvorstellungen – speziell der Verfassung – nicht widerspricht.
Umgekehrt im Ausland wird deutsches Recht auch soweit grundsätzlich gültig nicht angewendet, wenn es dortigen wesentlichen Grundsätzen des Rechtssystems widerspricht. Im Ausland werden deutsche Gerichtsentscheidungen nicht anerkannt, beispielsweise nicht vollstreckt, wenn sie mit wesentlichen Grundsätzen des ausländischen Rechts nicht vereinbar sind.
Dies nennt man im internationalen Recht „ordre public“ im Sinn von „öffentlicher Ordnung“.
Ordre-Public-Vorbehalt zum Schutz des Vermögens vor Gläubigern?
Dies gilt auch umgekehrt wenn ein deutsches Gericht die Entscheidung nach einer ausländischen Rechtsordnung wegen eines Verstoßes gegen den deutschen ordre public nicht anerkennt. So hat das Landgericht (LG Köln, Urteil vom 14.10.2011, Az. 82 O 15/08) einem Schuldner wegen eines Scheinwohnsitzes zur Tarnung im Ausland, die Anerkennung seiner Rechtschuldbefreiung versagt:
Es spricht alles dafür, dass der Beklagte missbräuchlich die Möglichkeiten des organisierten Insolvenztourismus nach Großbritannien genutzt hat, um sich durch das unkomplizierte englische Insolvenzverfahren innerhalb eines Jahres zu entschulden und sich dadurch berechtigten Gläubigerforderungen zu entziehen.
Landgericht (LG Köln, Urteil vom 14.10.2011, Az. 82 O 15/08)
Ein weiterer massenhafter Verstoß gegen u.a. den ordre public findet man beim Verschweigen des Wohnsitzes im Inland, in Verbindung mit einem Tarnwohnsitz im Ausland, etwa um dort dann eine Krankenversicherung zu bekommen oder angeblich dort sein Welteinkommen zu versteuern.
Rechtsgestaltung durch Wechsel von Staatsangehörigkeit, Religion, Umzug, Vermögenstransfer
So könnte man durchaus auf die Idee kommen sein Vermögen nach Ägypten zu schaffen und Muslim zu werden, um damit alle Nicht-Muslime von der Erbschaft ausschließen, sofern in Ägypten geklagt werden muss, und ebenso auch, wenn versucht würde, in Ägypten ein nicht Scharia-gemäßes deutsches Urteil zu vollstrecken, weil es gegen den dortigen ordre public nach Scharia verstößt.
Das islamische Recht, die Scharia ist eine Methode und Methodologie der Rechtsschöpfung durch Auslegung, und in der Folge vielfältiger Meinungen. Dort herrscht der Grundsatz, daß verboten ist, was nicht ausdrücklich erlaubt wurde – bei uns entspricht das Gegenteil dem Grundgesetz.
Selbst soweit man sich vor einem ägyptischen Gericht auf zwischenstaatliche Abkommen beruft, kann die Anerkennung ausländischer Entscheidungen am dortigen ordre public scheitern, und dies spätestens sobald ein Muslim mit betroffen ist.
Gestaltungsmöglichkeiten durch Rechtswahl – beispielsweise nach der Scharia
Ausgenutzt werden kann zudem, daß bereits die Zuständigkeit der Gerichte je Land ganz unterschiedlich geregelt sein kann – nach Wohnsitz, Staatsangehörigkeit, Belegenheit irgendeines Vermögensgegenstandes, sowie nach internationalen oder bilateralen Abkommen.
So wie es nicht mit jedem Land überhaupt Auslieferungsabkommen gibt, und wenn doch, dann auch nicht für bestimmte Delikte, welche beispielsweise am Aufenthaltsort als straffrei gelten.
Existiert beispielsweise kein Vollstreckungsabkommen, wie es bei Liechtenstein der Fall ist, dann entfaltet ein deutsches Urteil dort keine Wirkung bzw. kann nicht vollstreckt werden.
Dann müßte vor Ort geklagt werden – dies kann um ein Vielfaches teurer sein als im Inland.
Und selbst wenn es ein Vollstreckungsabkommen gibt, so garantiert dies noch keinen mühelosen Erfolg. Wenn es zutrifft, daß in Sizilien die Zwangsvollstreckung durch den Bürgermeister erfolgt, kann man erahnen, warum erst nach Jahren nur die Mitteilung kommt, man habe den Schuldner bedauerlicherweise nicht auffinden können.
Bis zu mehr als 3 Billionen EUR Nachfrage nach Scharia-Finanz- und Versicherungsprodukten
In den letzten Jahren legten ein deutsches Bundesland, aber auch große Finanzhäuser aus England, Frankreich und Luxembourg eigens Scharia-konforme Produkte auf. Zur Produktgestaltung und Beurteilung bedarf es islamischer Gelehrter, damit etwa das Zins-, Glücksspiel- und Spekulationsverbot beachtet werden – eingeschlossen die Vermeidung von Investments in Unternehmen, die mit Waffenherstellung, Erotik, Tabak, Alkohol oder Schweine zu tun haben oder selbst Zinsen für Anleihen zahlen.
Seit der Subprime-Krise ist bekannt, daß schariakonforme Kapitalanlagen im Schnitt rentabler sind als die westliche Durchschnittsaktie. Denn sie investieren in reale Anlagen – spekulative Anlagen kommen nicht in Frage, so daß man vom Zusammenbruch des westlichen Finanzcasinos 2007/2008 kaum betroffen war.
Auch westliche Banken und Versicherungen eignen sich nicht als Scharia-Anlagen, weder die Aktien noch die üblichen Produkte Die vorgeschriebene Kalkulation der Versicherungsmathematiker mit Zins und Sterbetafeln in üblichen Lebens- und Rentenversicherung und ebenso in der Privaten Krankenversicherung sowie die Verpflichtung, das Deckungskapital hauptsächlich in Zinstiteln anzulegen, macht auch deren Produkte für eine Anerkennung nach Scharia ungeeignet.
Gangbare Alternativen sind Unterstützungskassen und andere Selbsthilfeeinrichtungen z. B. in Stiftungsform, wie sie beispielsweise in einigen Bundesländern auch Pfarrer zur gegenseitigen Absicherung der Krankheitskosten seit mehr als 70 Jahren erfolgreich betreiben.
Europäische Zentralbank (EZB) nähert sich der Scharia an
Geld bei der EZB zu leihen erscheint bald Scharia-konform, denn der Zins wurde zuletzt auf 0,05% gesenkt – auch wenn dies bei den Kredit-Endkunden noch nicht zur Gänze angekommen ist.
Für islamische Anleihen (Sukuk genannt) gilt ein Zinsverbot; so wie in der Antike das Verlangen von Zinsen unter Christen und Juden als Sünde galt – statt dessen ist eine Beteiligung am Gewinn vorgesehen. In manchen anderen Ländern gibt es gesetzliche Höchstsätze für Zinsen, in anderen überläßt man dies der Rechtsprechung.
In den meisten muslimisch geprägten Ländern prägt die Scharia insbesondere das Erb- und Eherecht, sowie das Banken- und Versicherungssystem. Bei den bekannten Körperstrafen unterscheiden sich die muslimischen Länder erheblich in der Anwendung – und natürlich auch in der pluralen Auslegung der Scharia.
Scharia auch von deutschen Gerichten anzuwenden und anzuerkennen
Kommt es für unsere Rechtsprechung wegen des Auslandsbezug bzw. der Staatsangehörigkeit der Betroffenen auf die Scharia an, so kann die zutreffende Beurteilung an Sprachbarrieren sowie daran scheitern, dass dieses Recht nur teilweise schriftlich tradiert ist.
Grundsätzlich kann in Verträgen jedes ausländische Recht vereinbart werden, insbesondere wenn die Betroffenen selbst eine ausländische Staatsangehörigkeit haben. Dann muss auch ein deutsches Gericht dieses Recht – also auch ggf. Scharia – anwenden, soweit es nicht dem ordre public widerspricht.
So kommt es vor, dass ein deutsches Gericht keine Scheidung ausspricht, wenn nicht zuvor die Ehefrau durch eine Erklärung des Ehemannes vor dem Imam verstoßen wurde. Allerdings verlangt der ordre public, dass auch die Voraussetzungen für eine Scheidung nach deutschem Recht vorliegen – bzw. dass die Ehefrau damit einverstanden war, verstoßen zu werden.
Schiedsgerichte nach Scharia sind möglich
Nicht nur vor den deutschen Gerichten muss bei gegebenen Voraussetzungen nach Scharia-Recht geurteilt werden. Auch die Vereinbarung von eigenen Schiedsgerichten nach Scharia ist möglich – deren Urteile sind auch von deutschen Gerichten anzuerkennen und zu vollstrecken, soweit sie nicht dem ordre public widersprechen.
Wer dies als „Geheim-“ oder „Parallel-“ Justiz ablehnt, verkennt, dass Schiedsgerichte in unserer Wirtschaft weite Verbreitung haben, und es gerade als Vorteil gesehen wird, dass eine rasche endgültige Entscheidung ohne breite Öffentlichkeit getroffen wird. Auch kann so ein Schiedsgericht mit fachlich spezialisierteren Schiedsrichtern besetzt werden, als sie ein übliches deutsches Gericht aufweist.
Bereits in Verträgen können Schiedsgerichte und das anzuwendende Recht vereinbart werden, oder freiwillig erst später. Viele Vereine und besonders berufsständische Vereinigungen machen die Aufnahme davon abhängig, dass Mitglieder bei Verstößen gegen Vereins- und Standesregeln die eigene Vereins- und Standes“gerichtsbarkeit“ als verbindlich anerkennen.
Nicht zuletzt werden dadurch auch die üblichen Gerichte entlastet.