Unser Gehirn kann auf unsere Verdauung einwirken – keine Frage. Im einfachsten Fall natürlich durch unsere Entscheidungen, wann wir welche Nahrung zu uns zu nehmen. Aber auch weitergehend bringen Ängste und Stress unsere Verdauung in Aufruhr oder verlangsamen die normalen Abläufe.
Kann aber das Verdauungssystem auch unser Gehirn beeinflussen?
Diese Richtung der sogenannten Darm-Hirn-Achse ist noch wenig verstanden, spielt aber zunehmend eine wichtige Rolle. Die Bakterien in unserem Darm können beispielsweise, durch Veränderung des Säurehaushalts unseres Körpers, unser Blut-Gehirn-Schranke regulieren – also mitbestimmen, welche Substanzen direkt auf unsere Nervenzellen treffen dürfen. Die verschiedenen Populationen von Bakterien in unserem Darm stellen auch Substanzen für uns her.
Ein Teil unserer Nahrung ist nämlich nicht direkt für uns bestimmt, sondern für unsere Mitbewohner gedacht, die daraus auch Vitamine herstellen. Sind bestimmte Bakterien in zu geringer Zahl vorhanden, können also auch manche Vitamin-Mangelzustände auftreten und wiederum unsere Gesundheit beeinflussen. Eine frühere Studie zeigte auch, dass Darmbakterien auf die Verarbeitung von Tryptophan einwirken können (Ben-Ari, 2013 im medizinwissenschaftlichen Journal Acta Paediatrica veröffentlicht).
Aus Tryptophan werden das Glückshormon Serotonin und das Tag-Nacht-Hormon Melatonin hergestellt. Es kann aber auch stattdessen zum entzündungsfördernden Kynurenin verarbeitet werden: Entzündung statt Glück und stabilem Schlaf-Wach-Rhythmus. Keine Frage also, dass der Darm und seine Bewohner weitreichend auch bei Depressionen mitreden können.
Aber welche Bakterien sind gut für uns? Und gibt es Mitbewohner, die eher Depressionen auslösen? Diese Fragen werden in verschiedenen Studien untersucht. Dr. Chen und Kollegen von der Chongqing Medical University in China untersuchten die bakteriellen Wohngemeinschaften im Darm 44 depressiver Menschen, die bisher noch keine Medikamente eingenommen hatten und verglichen sie mit denen 44 gesunder Kontrollpersonen.
Um auch eventuelle Unterschieden zwischen Männern und Frauen zu ermitteln, waren jeweils 24 Teilnehmer beider Gruppen Frauen und 20 Männer. Die Studienteilnehmer waren im Mittel etwa 42 Jahre alt und hatten ein vergleichbares Verhältnis von Gewicht und Körpergröße (durchschnittlicher BMI 22 kg/m2). Die Patienten mit unipolarer Depression hatten auf der Hamilton Depressionsbewertungsskala (HAM-D) einen mittleren Wert von 23. Drei der betroffenen Frauen und zwei der Männer litten zusätzlich unter einer Angststörung.
Insgesamt konnte eine Vielzahl von unterscheidbaren Bakterienpopulationen identifiziert werden, in denen sich gesunde und an Depressionen erkrankte Menschen voneinander unterschieden. 57 Bakterienarten unterschieden sich bei den Frauen, 74 Arten bei den Männern.
Dabei vielen zwei Arten besonders auf:
Im Vergleich zu den gesunden Teilnehmern waren bei Frauen mit Depressionen mehr sogenannte Actinobacteria zu finden. Bei den an Depressionen erkrankten Männern waren dagegen geringere Zahlen sogenannter Bacteroidetes messbar als bei den gesunden Männern. Diese Ergebnisse werden gestützt von früheren Studien, die bei Betroffenen mit Depressionen reduzierte Bacteroidetes-Zahlen (Naseribafrouei und Kollegen, 2014 im Fachjournal Neurogastroenterology & Motility erschienen) bzw. vermehrt Actinobacteria fanden (Jiang und Kollegen, 2015 im Fachjournal Brain, Behavior and Immunity erschienen). Geringe Zahlen von Bacteroidetes konnten in früheren Untersuchungen auch mit starkem Übergewicht in Zusammenhang gebracht werden. Depressionen und Übergewicht sind auch über entzündliche Prozesse miteinander verknüpft – und dabei können auch wieder Darmbakterien ein paar Worte mitreden. Diese speziellen Bakterienarten stehen damit durchaus nicht überraschend im Fokus.
Eine weitere Studie (Guzman und Kollegen, 2018) testete nun sogar die Idee, ob die Darmbakterien einer an Depressionen erkrankten Person ähnliche Krankheitssymptome bei anderen auslösen könnten – allerdings wurde hierzu die Bakterienwohngemeinschaft bei Mäusen statt bei Menschen eingepflanzt. 7 Mäuse erhielten die Bakterien einer Patientin, die unter Ängsten und Depressionen litt. 8 weitere Mäuse erhielten die Bakterien einer gesunden Studienteilnehmerin.
Beide Teilnehmerinnen waren im Rahmen einer anderen Studie gut untersucht und in vielen Aspekten vergleichbar. Für die Mäuse war der Unterschied jedoch deutlich: die Depressionen und Ängste wurden mit der Bakterienkolonie übertragen, ihr Verhalten und die Entzündungswerte veränderten sich und auch der Nervenwachstumsfaktor BDNF, der bei Depressionen typischerweise auffällig anders im Gehirn produziert wird, zeigte bei den Mäusen mit den Depressions-Bakterienkulturen das typische Muster einer depressiven Erkrankung. Gleichzeitig waren all diese Anzeichen nicht bei den Mäusen zu finden, die die bakterielle Wohngemeinschaft der gesunden Teilnehmerin erhalten hatten.
Auch bei der Bipolaren Störung fanden sich deutliche Unterschiede in der Darmbesiedlung: Evans und Kollegen berichteten 2017 (Journal of Psychiatric Research), dass bei 115 Menschen mit der Bipolaren Störung besonders die Größe der Faecalibacterium-Population unterschiedlich zu der von 64 Kontrollteilnehmern war, und dies auch mit dem Schweregrad der Erkrankung zusammenhing.
Weitere Studien sollen nun klären, ob Darmbakterien als messbare Anzeichen für eine Depressionserkrankung dienen können. Noch ist auch unklar, wie weitverbreitet diese Zusammenhänge bei Patienten mit Depressionen sind. Zusätzlich bietet sich die Möglichkeit, neue, eventuell ergänzende Behandlungsansätze für Depressionen und die Bipolare Störung zu entwickeln: durch Förderung der antidepressiven Bakterienkulturen und der gesündesten Wohngemeinschaft im Darm. Auch hier wird noch geforscht werden müssen.
Bis entsprechende Therapien tatsächlich nutzbar sind, bietet es sich an, die ‚guten‘ Darmkulturen zu hegen und zu pflegen. Wie das geht, ist an sich nichts Neues: weniger Stress, geregeltes Leben, Bewegung, ausreichend guter Schlaf und gute Ernährung mit frischer, ballaststoffreicher Nahrung, wenig Zucker und Fett. Damit kann man wahrscheinlich keine Depression oder Bipolare Störung heilen. Aber im Zusammenspiel mit der passenden klassischen Therapie mit Antidepressiva und/oder Phasenprophylaxe kann so der Darm und mit ihm die Psyche eventuell stabilisiert werden.
Referenzen:
Chen J, Zheng P, Liu Y, et al. Sex differences in gut microbiota in patients with major depressive disorder. Neuropsychiatr Dis Treat. 2018;Volume 14:647-655. doi:10.2147/NDT.S159322.
Guzman EP, Anglin R, De Palma G, et al. A301 GUT MICROBIOTA FROM A PATIENT WITH GENERALIZED ANXIETY DISORDER INDUCES ANXIETY-LIKE BEHAVIOUR AND ALTERED BRAIN CHEMISTRY IN GNOTOBIOTIC MICE. J Can Assoc Gastroenterol. 2018;1(suppl_1):523-524. doi:10.1093/jcag/gwy008.302.