Ende November 2018 frohlockte die Bundesregierung, dass der Bundeshaushalt ab 2019 milliardenschwere Investitionen für die Digitalisierung Deutschlands Schulen ausgeben wird. Dazu musste die Große Koalition im Verbund mit den Grünen und der FDP sogar eine entsprechende Änderung im Grundgesetz durchringen.
Neben der Anschaffung neuer Laptops, Notebooks oder Tablets wird viel Geld für den Ausbau der Dateninfrastruktur unter anderem für die internen Schulnetze einschließlich der Schulserver gebraucht. Außerdem soll offenes WLAN in Schulen zum Standard werden, neue pädagogisch wertvolle Lern- und Kommunikationsplattformen sind zu entwickeln und interaktive Tafeln müssen in allen Klassenzimmern installiert werden.
Eigentlich sollte die Eroberung der deutschen Schulen durch die digitale Moderne ja ein Grund zum Jubel sein, wäre da nicht jene denkwürdige, rückwärts gerichtete Entwicklung ausgerechnet an jenem Ort zu beobachten, wo die digitale Revolution einst ihren Anfang nahm, nämlich im fernen, heiß geliebten Silicon Valley.
Wer etwas auf sich hält, lernt im kalifornischen Tal des Siliziums analog
Der Apple-Gründer Steve Jobs und der Begründer von Microsoft Bill Gates haben es vorgemacht. Sie erzogen ihre Kinder technikfrei, aber warum nur? Jobs enthielt seinen Kindern das neue iPad vor, die Töchter von Bill Gates durften erst ab 14 Jahre ein Handy verwenden. Tristan Harris, ehemals Ingenieur bei Google, gründete eine Bewegung namens „Time Well Spent“, weil er damit ein Zeichen setzen will gegen das hohe Suchtpotenzial von Smartphone-Apps.
Diese Programme arbeiten absichtlich mit Belohnungsmechanismen, wodurch die Dopamin-Rezeptoren im Gehirn ständig befeuert werden und so eine körperliche und psychische Abhängigkeit antrainiert wird. Auch Manfred Spitzer, seines Zeichens Psychiater und Bildungsforscher, wettert schon seit Langem gegen diese Entwicklungen.
Und genau deshalb wird im Silicon Valley, dem Ausgangspunkt der Digitalisierung, nun wieder analog gelernt. Gerade die besser verdienenden IT-Spezialisten und Programmierer schicken ihre Kinder ganz bewusst in Schulen ohne Bildschirm. Ausgerechnet Waldorf-Schulen erleben in den letzten Jahren einen Boom im Silicon Valley.
In Los Altos kommt beispielsweise die Canterbury Christian School völlig ohne Laptop, Smartphone & Co. aus. Stattdessen zitieren die Schüler jeden Morgen Bibelverse. Ihre besorgten Eltern wissen es, dass die modernen digitalen Technologien die Konzentrationsfähigkeit ihrer Sprösslinge nachhaltig schädigen. Die neue Low-Tech-Bewegung ist die konsequente Folge dessen.
Die Entwicklung des Intelligenzquotienten (IQ) im Zeichen der Digitalisierung
Fast das gesamte 20. Jahrhundert lieferte die Serie aller IQ-Tests die hoffnungsfrohe Botschaft, dass die Menschen in den Industrienationen immer schlauer werden. James Flynn hieß der Forscher, der diese Erkenntnis 1987 veröffentlichte und von da an sprach man in diesem Zusammenhang vom Flynn-Effekt. Doch die prompte Trendwende ließ nicht lange auf sich warten. Ungefähr seit 1990 befindet sich der durchschnittliche Intelligenzquotient auf dem Rückzug.
Die zeitliche Korrelation mit dem rasanten Aufkommen der sozialen Medien wie Twitter, Facebook, Instagram oder Xing ist kein reiner Zufall. Ganz gewiss gibt es noch viele andere Gründe für den Rücksetzer in der menschlichen Intelligenz. Die Sachlage ist in der Tat sehr komplex, nichtsdestotrotz warnen Neuropsychologen zurecht vor dem falschen Umgang mit den digitalen Medien.
Einfluss der Digitalisierung auf die Gesundheit?
Die Nutzung der mobilen Endgeräte bei unseren Kindern zeitlich zu begrenzen, ist keine schlechte Idee. Der hohe Blauanteil des Displays beschädigt die Augen und vermindert die Melatonin-Ausschüttung. Kinder brauchen aber dieses körpereigene Schlafhormon für ihre gesunde Entwicklung in ausreichender Menge und Qualität. Wie das kindliche Nervensystem auf die digitale Reizüberflutung reagiert, dazu liegen noch keine aussagekräftigen Langzeitstudien vor. In der Diskussion ist dazu immer wieder die schädigende Wirkung des Elektrosmogs auf das Gehirn beim Telefonieren ohne Kopfhörer.
Common Sense Media legte dazu in den USA eine Studie auf. Eines der Ergebnisse gibt besonders zu denken: Teenager einkommensschwacher Familien verbringen jeden Tag deutlich mehr Zeit mit Handy, Laptop oder Spielekonsole als die Jugendlichen, die in wohlhabenderen Familien aufwachsen.
Analog: das neue Bio
Die älteren Leser wird diese Aussage nicht besonders verwundern. Erinnern wir uns mal an unsere eigene Kindheit. Jene Eltern, die keine Lust hatten, sich viel mit ihren Kindern zu beschäftigen, setzten ihre Sprösslinge einfach vor den Fernseher und schalteten ihnen eine sinnlose Serie nach der anderen an. In jenen Familien, wo zeitweises Fernsehverbot herrschte, beschäftigten sich die Eltern deutlich öfter und intensiver mit ihren Kindern, was für deren berufliche Entwicklung schließlich sehr förderlich war.
Ganz ähnlich läuft es heute mit den vernetzten, elektronischen Gadgets wie Spielekonsolen, 3-D-Brillen & Co. Die Kids sind damit stundenlang beschäftigt und nerven ihre Eltern erst mal nicht weiter. Überdies ist dieser ganze Kram relativ billig zu kaufen, nicht vergleichbar mit einer Ausrüstung und dem Vereinsbeitrag für den Golfplatz oder jahrelangen Einzelunterricht durch einen Klavierlehrer. Genau darauf geht der Politikwissenschaftler Andre Wilkens in dem 2015 veröffentlichten Buch „Analog ist das neue Bio“ näher ein.
Mit Fug und Recht prangert er eine „digitale“ Schere an, die immer weiter aufklappt zwischen den einfachen „daddelnden“ Normalbürgern und den Prädestinierten, die genug Geld haben, um sich eben nicht immerzu auf das digitale Virtuelle reduzieren zu müssen. Insofern lässt sich zusammenfassen, dass die Digitalisierung längst eine soziale Dimension eingenommen hat, und zwar in einer Weise, dass das „Fußvolk“ virtuell und online lernen muss, während die Elite in analogen Privatschulen unter sich bleibt.
Wie können Eltern dem unseligen Wandel der Zeit Paroli bieten?
Wir sollten unbedingt viel mehr darauf achten, dass sich unsere Kinder immer auf jene Tätigkeit konzentrieren, die sie gerade ausführen. Was unserer Gesellschaft heute verloren gegangen ist, ist die Fähigkeit, Unwichtiges von Wichtigem zu unterscheiden, klar abzugrenzen und die richtigen Prioritäten zu setzen. Lasst es uns versuchen, dass unsere Kinder diese Gabe wiedererlangen.
Die gängige Lehrmeinung tendierte bislang in die Richtung, dass die Intelligenz ungefähr zu 70 Prozent vererbt wird. Die Umwelt oder das Lebensumfeld, was Du auch immer alles dazu zählen magst, soll die Entwicklung der Intelligenz zu etwa 30 Prozent beeinflussen. Aber das ist sicher nur die halbe Wahrheit, denn all die biochemischen Interaktionen über die Zeit sind extrem komplex und auch von der Wissenschaft kaum zu ergründen.
Was wir aber einigermaßen wissen, ist, dass die Ernährung, und dazu gehört zum Beispiel die Versorgung mit Proteinen, eine wichtige Rolle spielt. Darüber hinaus braucht das wachsende Gehirn ständig Anregungen von außen. Dabei geht es nicht nur um Quantität, sondern vor allem um Qualität, soll heißen: Das persönliche Vorlesen eines schönen Märchens aus einem Kinderbuch ist für Dein Kind tausend Mal wertvoller als der Download einer Disco-Music für ein rosa iPad. Das Gehirn Deines Kindes braucht viel haptische Stimulanz, was in einem direkten Zusammenhang mit unserer biologischen Sensorik steht. Und da geht es um das Berühren, Hören und Sehen, Schmecken und Riechen sowie um das Fühlen.
Eine gesunde Gehirnentwicklung basiert auf körperlicher Aktivität. Wer draußen Sport treibt, muss seinen Tagesablauf entsprechend organisieren. Dazu gehört auch das richtige Timing bei der Einnahme und der Art der Mahlzeiten. Ohne ausreichenden, guten Schlaf gibt es keine sportliche Leistung. Du siehst, es wird viel kognitive Aktivität für eine gute Tagesplanung von Deinem Kind abverlangt. Das alles fällt weg, wenn Dein Kind nur den ganzen Tag unbeweglich im Chat-Room verbringt.
Geistes-Training versus Digitalisierung
Wir neigen alle dazu, unser Gedächtnis auf Festplatten auszulagern. Was wir dadurch lernen, ist, zu vergessen. Psychologisch läuft dabei im Hintergrund ein ganz einfacher, aber auch fataler Mechanismus ab. Was Du zum Beispiel in einer Excel- oder Word-Datei verewigst, brauchst Du Dir ja nun nicht mehr merken, weil Du es jederzeit wieder auf den Bildschirm laden kannst. Frag mal Dein Kind, ob es Deine Telefonnummer auswendig aufsagen kann für den Fall, dass mal der Akku seines Smartphones leer ist.
Gleiches gilt für Fakten, die früher als Allgemeinbildung hohes Ansehen hatten. Wozu soll ich mir denn merken, dass der Mond 384.000 km von der Erde entfernt ist oder dass der Jupiter im Durchmesser elf Mal so groß, wie die Erde ist? Ich brauch doch nur Wikipedia aufrufen, da steht alles noch viel genauer drin.
Doch echte Karriere machen die Kinder der Elite, die, wie in guten alten Zeiten, die Gedichte von Goethe und Schiller auswendig zitieren können und sich spontan im Salon an einen Flügel setzen, um wenigstens Beethovens „Für Elise“ aus dem Stegreif zu interpretieren.
Wollen wir wirklich die totale Digitalisierung unserer Schulen?
Lehrer, die unter anderem auch sogenannte Inklusionskinder unterrichten, also Kinder mit speziellen Lernschwierigkeiten, äußern sich immer wieder dahin gehend, dass die Lösung nicht in aufgeblähtem elektronischen Schnickschnack zu finden ist. Schick gemachte, bunt überladene PowerPoint-Folien, die interaktiv am Touch-Screen nach Belieben verzerrt werden können, haben keinerlei didaktischen Wert.
Entwickelt man aber das komplexe Diagramm Schritt für Schritt an einer Tafel oder Whiteboard, und zwar genau in der Verständnis-Geschwindigkeit, die dem Schüler individuell angepasst wird, erreicht man damit ein tiefes Verständnis der Sache. Im Ergebnis kann der Schüler noch nach Jahren die gleiche Grafik wieder aus dem Gedächtnis selbst entwickeln. Allein, in den Kultusminister-Konferenzen wird der einfache Lehrer ja nicht befragt, wohingegen die Interessen der Industrie sehr wohl einen hohen Stellenwert haben.
Die Digitalisierung der deutschen Schulen sorgt zurzeit für viele kontrovers geführte Diskussionen. Daran darfst Du Dich gern in unserem Forum beteiligen.
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