Dienstag, April 9, 2024
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Im Schlaf schaukeln

Bis auf das kleine rote Licht der 3D-Kamera ist es stockdunkel im Schlaflabor. Basil hat damit kein Problem, er mag es sogar. Der 14-jährige aus Somerset ist tagsüber oft müde. Er ist sogar schon im Unterricht eingeschlafen. Grund dafür ist seine Schlafbezogene Rhythmische Bewegungsstörung. Mit 18 Monaten fing es bei ihm an. Seitdem wiegt er phasenweise seinen Körper auf allen Vieren stehend in der Nacht heftig hin und her.

Seine Mutter Denise erzählt, dass es Jahre gedauert habe, bis die Störung diagnostiziert und er an eine Spezialistin an das Universitätsspital nach Southampton verwiesen wurde. Dank der Ärztin Cathy Hill liegt Basil nun als Teilnehmer einer Studie in einem automatisch angetriebenen Bett des Sensory-Motor Systems Lab, dem Somnomat, in Zürich.

Die Studienleiterin Rachel van Sluijs, Doktorandin bei ETH-Professor Robert Riener, versucht mit Basil herauszufinden, welche Frequenz und Richtung der Schaukelbewegung ihm angenehm ist. Bei Basil ist das einfacher als bei den anderen Studienteilnehmern, von denen der jüngste erst fünf Jahre ist

«Wir haben im Vorfeld mit den Kindern unserer Laborkollegen trainiert, es ist schliesslich etwas Anderes, ob man einem Erwachsenen etwas erklärt oder einem Kind.», sagt van Sluijs. Sie hat auch ihre Schwester, eine Grafikdesignerin, eingespannt, weil sie eine Bewertungstabelle mit Smileys brauchte. Denn so konnten auch die Kinder, welche noch nicht lesen konnten, die Schaukelbewegung des Bettes bewerten.

Wenig untersucht, selten diagnostiziert

Cathy Hill arbeitet seit vielen Jahren mit Kindern, die an der Rhythmischen Bewegungsstörung leiden. Bisher ist die Störung wenig untersucht, aber sie belastet Kinder und Eltern stark. «Ich habe Kinder gesehen, die durch ihre unkontrollierten Bewegungen ihr Bett durchs ganze Zimmer schieben. Die Körperbewegungen sind also sehr heftig. Sie können den Kindern schaden und das nicht nur bei der Schlafqualität», erklärt Hill.

Als sie einen BBC-Bericht über den Somnomat im Fernsehen sah, dachte sie sofort, das könnte eine interessante Methode sein, um die Schlafbezogene Rhythmische Bewegungsstörung zu behandeln. Daher nahm sie Kontakt mit den Forschenden der ETH Zürich auf. Der erste Gedanke war die Studie mit Betroffenen aus der Schweiz durchzuführen. Hierzulande überweisen Hausärzte aber kaum Patienten an Spezialisten, da sie der Meinung sind, die Symptome wachsen sich aus. Aus diesem Grund ist Hill jetzt mit sechs ihrer Patienten aus England nach Zürich gekommen.

Wenig Schlaf für die Studienleiterinnen

Für van Sluijs und ihre Kolleginnen Quincy Rondei und Elisabeth Wilhelm bedeutet die zweiwöchige Studie wenig Schlaf. Jedes der Kinder verbringt drei aufeinanderfolgende Nächte im Schlaflabor. Zuerst übernachten sie in einem normalen Bett, um sich an die Umgebung zu gewöhnen. Die zweite und dritte Nacht verbringen sie im Somnomat: zuerst mit Schaukelbewegung und dann ohne.

Während der drei Nächte werden sie die ganze Zeit von van Sluijs, Rondei und Wilhelm überwacht. Wilhelm ist als Ingenieurin für die technischen Aspekte zuständig. Sie hat viel Erfahrung mit dem Somnomat aus anderen Projekten. Das bekannteste ist die Nutzung des Somnomats als Antischnarch-Bett, das in absehbarer Zukunft zu kaufen sein wird. Dort kann aber auf mechanische Systeme zurückgegriffen werden, die es bereits im Handel gibt. Bei der aktuellen Studie hat das Bett deutlich mehr Prototypenstatus. Die bewegliche Mechanik, die an der ETH entwickelt wurde, ist frei zugänglich. Gefährlich bei einer Studie mit Kindern. Deshalb liegen um das Bett Matten, die sofort einen Notstopp auslösen, sobald ein Kind aus dem Bett steigt und allenfalls die Mechanik anfasst oder ein Elternteil ans Bett läuft.

Die technische Herausforderung liegt laut Wilhelm darin, das System möglichst leise zu machen, damit es beim Schlafen nicht stört. Das Bett kann mit unterschiedlichen Geschwindigkeiten entweder seitwärts schaukeln oder in Schlafrichtung, je nach Wunsch der Probanden.

Die aktuelle Studie bietet ausserdem Forschenden des Austrian Institute of Technology (AIT) die Möglichkeit, ein neues 3D-Kamera-Verfahren zu testen, das die Bewegungen der Schlafenden registriert. Der Vorteil: keine Verkabelung der Probanden. Bei Schlafstudien ist das oftmals ein kritischer Aspekt, da dadurch das normale Schlafverhalten beeinflusst wird. Van Sluijs ist optimistisch, dass die Daten, die sie während der Studie gesammelt haben, die Entwicklung des Somnomats und auch die Erforschung der Schlafbezogenen Rhythmischen Bewegungsstörung voranbringen werden.

Schlafbezogene Rhythmische Bewegungsstörung

Die Schlafbezogene Rhythmische Bewegungsstörung zeigt unterschiedliche Ausprägungen. Es gibt Patienten, die nur heftig den Kopf hin-und her bewegen, andere gehen nachts auf alle Viere und schlagen ihren Kopf gegen das Bett oder die Wand. Die Störung zeigt sich bei Kindern meist im ersten Lebensjahr und ist nicht zu verwechseln mit den sanften rhythmischen Bewegungen, wie z.B. das Hin-und Herrollen des Kopfes, die manche Kinder beim Einschlafen machen. Wenn Eltern das Verhalten beobachten und ärztlichen Rat suchen, wird ihnen meist gesagt, dass die Kinder aus dem Verhalten herauswachen. Ob das wirklich so ist, lässt sich verlässlich nicht sagen, da grössere Studien mit einer aussagekräftigen Zahl von Betroffenen fehlen. Standardisierte Behandlungsmöglichkeiten gibt es bisher nicht, es bleibt nur ausprobieren. Manchen Kindern hilft es zum Beispiel, wenn sie in einer Hängematte schlafen, andere sprechen gut auf Medikamente wie Melatonin an.

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