Donnerstag, April 25, 2024
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Der alte Staat – hilflos im Wandel

Wer Lösungen für die Zukunft will, muss die verkrusteten Strukturen von Politik und Administration aufbrechen.

Die Zukunft der digitalen Revolution ist offen. Sicher ist, dass wir an der Schwelle zu einer Zeitenwende stehen. Es ist eine kognitive Revolution mit der Wissen künftig überragende strategische Bedeutung hat, wie uns die Entwicklung im Silicon Valley zeigt. Die Generierung von Wissen und die Integration in Wissenssysteme ist die Grundvoraussetzung für Lösungen elementarer ökonomischer, sozialer und ökologischer Herausforderungen. Den mit Wissen und Kommunikation verbundenen Herausforderungen sind die deutsche – und im Geleitzug die europäische politische Administration – nicht gewachsen. Sie haben sich zu abgeschotteten Systemen entwickelt und sind weder lern- noch veränderungsfähig. Wer Lösungen für die Zukunft will, muss die verkrusteten Strukturen von Politik und Administration aufbrechen.

1 Ein Rückblick

Die Administration ist ein Produkt der Moderne und gleichzeitig ein wesentlicher Baustein des modernen Staates. Als vorbereitende und ausführende Institution ist sie in das Gefüge eines Staates eingegliedert. Sie bereitet politische Entscheidungen vor (Richtlinien und Gesetzesentwürfe) und sie nimmt öffentliche und  Angelegenheiten des Staates wahr (z.B. die Sicherung von Recht und Ordnung). Sie ist formal nicht Teil der Executive. Aber sie ist sachlich und personell eng mit der Exekutive verflochten. Sie sind gemeinsam Komplex einer politischen Administration.

Die Entstehung der öffentlichen Verwaltung ist eng mit den preußischen Reformern (Stein/Hardenberg) verbunden. Sie war eine Lösung für ein sich historisch neu formierendes Staatswesens. Gegenüber den bis dahin vorherrschenden feudalen Strukturen war sie im Sinne von Max Weber fortschrittlich. Er definiert folgende Merkmale: 

  • Trennung von Amt und Person
  • Regelgebundenheit – (Ermessensbindung) der jeweiligen Amtsträger
  •  „Unpersönlichkeit“ bzw. Neutralität des Verwaltungshandelns (alle Personen gleich)
  • Hierarchieprinzip, das sich in strengen Über- und Unterordnungssystemen niederschlägt (Entscheidungen durchlaufen z.B. die gesamte Hierarchie) 
  • Prinzip der Schriftlichkeit der Verwaltung, Entscheidungen sollten auf den in den Akten befindlichen Sachverhalten basieren
  • Die Verwaltung wird als aktenkundig angesehen. 
  • es herrscht – wie in der Massenproduktion – eine rigide Arbeitsteilung 

2. Restriktion der Administration 

Die Bürokratie wurde allgemein als rationale Form gesellschaftlicher Steuerung (u.a. Leibholz) angesehen. Sie begleitete die Entwicklung vom Obrigkeitsstaat bis in die Parteienherrschaft, ohne ihre Strukturen zu ändern. Die Stärke liegt in einer relativ statischen Gesellschaft darin, dass sie berechenbar und zuverlässig war. 

In der 2. Hälfte des 20. Jahrhunderts entsprachen sich  Verwaltungsrealität und Industriegesellschaft nur noch teilweise. Mit wachsender gesellschaftlicher Differenzierung sollte die Verwaltung nunmehr der Unsicherheitsabsorption und Kontingenzbewältigung dienen. (Insbesondere Luhmann wies darauf hin.)  Diese Funktion jedoch konnte die Administration nur erfüllen, solange die wirtschaftlich-sozialen Verhältnisse relativ statisch waren. Diese Stabilität war mit der Entwicklung zum sozialen Wohlfahrtsstaat nicht mehr gegeben. Die wachsende Differenzierung der Industriegesellschaft stieg und führte zur Ausdifferenzierung immer neuer Funktionen.

Beispiele:

  1. neue Querschnittaufgaben (z.B. Gleichberechtigung, Umweltschutz, wirtschaftspolitische Lenkung, Raumordnung und Planung) erhielten eigene Funktionen, die im traditionell hierarchischen Behördenaufbau Fremdkörper waren (Beispiel Beauftragte für Sonderfunktionen – Frauen, Umwelt etc.)
  2. neue Planungsaufgaben und Planungsgremien
  3. Eingriffe der Parteien in die Behördenstruktur und vor allem die Besetzung von Sachfunktionen mit Parteifunktionären.

Die Kommunikation in der öffentlichen Verwaltung wurde zusehends komplizierter und bedurfte immer neuer Stellen und Ämter, um die Apparate ‚in Betrieb‘ zu halten. Kommunikation und Koordinierung innerhalb der Apparate wurde mangelhaft. Die Apparate entfernten sich inhaltlich und kommunikativ von der Gesellschaft, der sie eigentlich dienen sollten. 

Je mehr die Verwaltung wuchs und sich verfestigte, je schneller wuchs auch die Entfremdung zwischen ihr und der Bevölkerung. Einerseits gibt es die an Hierarchie und Verwaltungsrichtlinien gebundene Kommunikation und andererseits eine der Bürokratie davonlaufende Wirklichkeit durch wirtschaftliche, soziale und ökologische Entwicklungen. Weitere gravierende Probleme ergaben sich mit der Vereinnahmung der Administration durch die Parteien und die Verselbständigung der Admini-stration auf europäischer Ebene. 

3. Parteien und politische Administration

Parteien sind Machtapparate, die um Machtpositionen kämpfen. Macht zu erobern setzt Seilschaften voraus, in denen man sich wechselseitig verbündet und unterstützt. Dies sind nicht nur innerparteiliche Seilschaften, sondern auch solche zwischen Parteileuten und Verwaltung sowie Parteileuten und politisch relevanten Kräften der Zivilgesellschaft.  Um eine Seilschaft handlungsfähig zu machen, braucht man machttechnokratisch verwertbare Informationen (z.B. persönliche Daten und Sachinformationen), die zumeist aus der Verwaltung kommen. Insgesamt spielt die Administration damit eine zentrale Rolle für die Organisation und Ausführung der Parteienherrschaft. 

Parteien sind ohne die Administration inhaltsleere (kompetenzlose) Machthüllen. Wer könnte dies besser als der ehemalige Bundeskanzler Schmidt (der im Übrigen selbst als fachlich qualifiziert galt) ausdrücken: “Aber ich möchte doch einmal klarmachen, dass man heutzutage als so genannter Gesetzgeber, als Legislative, in so hoch qualifizierten und differenzierten Materien, wie es hier der Fall ist, einfach aufgeschmissen ist ohne die Hilfe der Verwaltung.” Mit anderen Worten: das fachliche Wissen muss in die Parteien getragen werden. Das bedeutet: Jede Partei, jeder Minister braucht eine ihm persönlich und parteipolitisch hörige Seilschaft. Politik ohne den administrativen Unterbau ist eine leere Machthülle. Wer langfristig politisch bestehen will, muss sich eine Basis vertrauter Menschen in der Administration schaffen. Zu den sogenannten Fachseilschaften gesellten sich parteipolitische Seilschaften. In der Parteienherrschaft ist das Wachstum der Bürokratie deshalb Teil des Systems.

Die wechselseitige Verflechtung zwischen Administration und Parteien hat Folgen: Verwaltungsdenken bestimmt zusehends politisches Denken. Politik wird statisch – wie die Verwaltung. Es entwickelt sich eine politische Sklerose. Da die Verwaltung bestands- und regulierungsorientiert ist, verliert auch die Politik ihre Lösungskompetenz für komplexe neue Aufgaben.

Politik ist mit der Komplexität der digitalen neuen Welt überfordert. Vor diesem Hintergrund sind Unfähigkeiten zur Lösung sozialer und ökologischer Herausforderungen nicht überraschend, sondern folgerichtig. Eine hoch zentralisierte Bürokratie, durchsetzt von parteipolitischen Partialinteressen ist unfähig zur Lösung differenzierter und komplexer Aufgaben.

Der Klimaschutz ist z.B. eine komplexe Aufgabe, weil er weit über sein eigentliches Fachgebiet Umweltschutz hinaus geht und z.B. die Art des Wirtschaftens, das Konsumverhalten, die Agrarwirtschaft und viele andere Bereiche betrifft.  Die politischen Maßnahmen wie Gebote und Verbote stellen singuläre Einschnitte dar. Ganzheitliche Lösungen bleiben unerfüllt. Entsprechend hat politische Kommunikation mit der gesellschaftlichen Wirklichkeit nichts mehr zu tun.

Die Kommunikation zwischen Politik und Bürgergesellschaft wird inhaltsleer – sie verkommt zu Sprechblasen. 

Die Grenze meiner Sprache, ist die Grenze meiner Welt (Wittgenstein). In diesem Sinne heben Parteien und Systemmedien von der Gesellschaft ab und leben im eigenen Kosmos. Sie entwickeln sich zu elitären Kaderorganisationen. Die Parteienherrschaft nimmt schrittweise Formen einer bürokratischen Feudalherrschaft an, die sich inzwischen auf Europa ausgedehnt hat.  

4. Der Wandel der Welt

Mit der Verbindung von Informationstechnologien und Chaos-Theorie entwickelte sich der technische Fortschritt in immer größerer Geschwindigkeit. Forscher wiesen schon Mitte der achtziger Jahre auf das Ende der Arbeitsteilung und auch auf das Ende der Massenproduktion hin. Obwohl sich schon damals abzeichnete, dass die Erschütterungen durch den Strukturwandel über Brancheneffekte hinausgingen, wurde er mehrheitlich als Krise der Altindustrien eingeschätzt. Dabei war der Mangel einer fehlenden ganzheitlich wirkenden Strukturpolitik erkennbar, der auf strukturelle Schwächen einer festgefügten zentralistischen Organisation hinwies. 

Ausschlaggebend für den weltweiten Wandel war die neue Informationstechnologie, die sich als neue Querschnittstechnologie in allen Branchen und Lebensbereichen tiefgreifende Modernisierungsprozesse anstieß. 

Der grundlegende Charakter des Wandels und seine Bedeutung für alle Bereiche des modernen Lebens, wurden in Europa lange verkannt. Offensichtlich waren die sozio-politischen Strukturen zu verkrustet, um die umfassende Qualität der Veränderungen zu erkennen.  Während man in Europa noch staunend auf die sich rasant entwickelnde neue Informationsbrache schaute, legte man in Süd-Ost-Asien das Augenmerk auf die Entwicklung der künstlichen Intelligenz in Verbindung mit der Robotik. Derzeit sieht es so aus, als hätte das Euro-Europa den Wandel wirtschaftlich und technologisch verschlafen.

Inzwischen wird deutlich, dass es eine Entwicklung zum fraktalen Unternehmen gegeben hat. Die Inkubationszeit, die auch die neuen Technologien scheint soweit abgeschlossen zu sein, dass derzeit schon der sich in Industrie und Gewerbe abzeichnende Paradigma-Wechsel erkennbar wird. Beide Entwicklungen: die neue Informationstechnologie und die künstliche Intelligenz in Verbindung mit der Robotik zeigen, wie sehr das Denken in Europa in bürokratische Fesseln gelegt wurde. Denn unsere politischen Eliten haben nicht erkannt, dass alte Denkweisen, Gestaltungs- und Verhaltensmuster ihre Gültigkeit verlieren und durch eine neue Grundorientierung abgelöst werden. Die künftige Entwicklung wird disruptiv und nicht linear sein. 

Die Umformung der Welt ist im vollen Gange und sie läuft in dramatischer Geschwindigkeit ab. Die Veränderungen haben sehr weitreichenden Konsequenzen für die einzelnen Unternehmen und vor allem für die politische Administration. Neue Arbeits- und Dienstleistungsformen entstehend aus der wirtschaftlichen Notwendigkeit, dass sich fraktale Unternehmen selbst organisieren und optimieren. Der Bedarf an Wissen und vor allem an Systemwissen wird stark ansteigen. Hier zeigen sich wohl auch die größten Versäumnisse der europäischen Politik. Denn wie das Beispiel Süd-Ost-Asien zeigt, sind eine leistungsfähige (auf Vorrat) geschaffene Infrastruktur und eine auf Qualität und Quantität angelegte Bildungs- und Wissenschaftsinfrastruktur die Triebmittel auch des gegenwärtigen Fortschritts. 

Die Zukunft ist offen und trotz aller technischen Möglichkeiten nicht verlässlich prognostizierbar oder gar berechenbar. Generell gilt, dass auch sehr weitreichende Planungen und Festlegungen von Systemen keine Gewähr dafür bieten, dass verlässliche Aussagen über Folgewirkungen abgeleitet werden können. Anders ausgedrückt, die politische Administration braucht nicht mehr und immer neue Gesetze und Regulierungen, sondern einen Ansatz zur Reduktion von Komplexität. Damit dieser Ansatz nicht weiter zu Lasten von Umwelt und Sozialstaatlichkeit geschieht, muss sich der Staat entdifferenzieren. Anders ausgedrückt, auch der zukünftige Staat braucht Organisationsintelligenz und offene lern- und veränderungsfähige Strukturen. Das kann er unter Beibehaltung demokratischer Standards nur mit einer 

  • Dezentralisierung von Kompetenzen,
  • Entlastung des Staates durch basisdemokratische Selbstbestimmung
  • dezentrale und regionale Trägerschaften für Infrastruktur, 
  • Infrastruktur als Güter des Gemeinwohls
  • dezentrale und regionale Entscheidungsstrukturen (Regionalkonferenzen)

Allen voran geht die Notwendigkeit einer offenen  Zielbestimmung staatlicher Politik, in die neben dem Expertenwissen auch das Wissen aus der gesellschaftlichen Praxis, die Erfahrung, aber auch das Wollen und Fühlen der Zivilgesellschaft einfließen sollte. Selbstbestimmung und intensive neue Beteiligungsformen sind damit nicht nur aus demokratischer Perspektive wünschbar, sondern für die Entwicklung des Gemeinwesens unabdingbar. Es ist offensichtlich, dass die derzeitige Politik an keinem Punkt den Anforderungen einer neuen postmodernen Gesellschaft entspricht.

5. Die bürokratische Sklerose

Es sind letztlich Institutionen und Verfahren, die die Macht der Parteien sichern. Denn mit der Bürokratie verfügen sie unbegrenzt und unkontrolliert über staatliche Ressourcen. Gleichzeitig mit der der politischen Administration legen sich bürokratische Verfahrens- und Verhaltensmuster wie eine lähmende Schicht über unser Land und über Europa. Die Strukturen der Administration bestimmen das Denken und Handeln in der Politik in den Systemmedien und zusehends in der Gesellschaft insgesamt.

Je mehr diese Verhaltensmuster auch in die privaten Bereiche eindringen, je innovationsfeindlicher werden Staat und Europa. Man degeneriert zur ‚besitzstandwahrenden‘ Gesellschaft. Was einmal an staatlichen Zuwendungen verteilt wurde, wird ‚als gutes Recht‘ angesehen und ist scheinbar unveränderbar. Gleiches gilt für Stellen und Ämter in der Verwaltung. So entstehen Mittelknappheit in politisch nicht organisierten Bereichen und Verschwendung in den politisch relevanten Sektoren. U.a. aus diesen Gründen erreicht die Administration zusehends einen Punkt absoluter Handlungsunfähigkeit.

Zudem besteht der strukturelle – nicht zu heilende Mangel – dieser Bürokratie darin, dass 

  • mit wachsender Differenzierung der Gesellschaft, die Bürokratie überproportional wächst und immer schwerer zu steuern ist.
  • ganzheitliche oder Querschnittsaufgaben die Bürokratie mit neuen Stellen, Ämtern und Scheinlösungen aufblähen
  • komplexe Aufgaben nicht mehr zu lösen sind 

Deshalb stellen wir inzwischen fest, dass Europa und Deutschland 

  • die digitale Revolution und ihre wirtschaftlich-sozialen Folgen verschlafen haben, 
  • die gravierenden Aufgaben im Umweltbereich nicht angemessen lösen können
  • soziale Herausforderungen vor sich herschieben und 
  • nicht einmal mehr Bahnhöfe und Flughäfen bauen können.

Inzwischen ist die politische Administration ein gefährlicher Hemmschuh auch für die wirtschaftliche Entwicklung. In aller Ideenlosigkeit setzt man wirtschaftlich auf Altindustrien, statt den strukturellen Umbruch mit einer leistungsfähigen Industriepolitik für den Mittelstand zu begegnen. So zeigt sich immer deutlicher, dass Deutschland und Europa bei der Entwicklung neuer Technologien ins Abseits geraten.

Es gilt der Spott, dass man in China schneller eine Robotik- Technologie entwickeln kann, als in Deutschland eine Baugenehmigung für eine Lagerhalle. Fatale politische Fehlsteuerungen haben Unterlassungen und Fehlentscheidungen in den Bereichen Wohnungsbau, Infrastruktur, Wissenschaft, Forschung und Bildung zur Folge. Lange konnten die Defizite überspielt werden. Jetzt aber – im Rennen um die neuen Technologien – werden alte Versäumnisse sichtbar.

Die unter der Merkel-Administration seit langem bestehende Neigung, Sachfragen vor sich her zu schieben oder dem Zufall eines europäischen Casinos zu überlassen, weitet sich aus. Aber statt politischer Innovationen, werden kritische Stimmen unterdrückt. Wer Funktionsunfähigkeit kritisiert wird mundtot gemacht. Kritische Themen werden tabuisiert, die Freiheit des Rechts wird personalpolitisch unterlaufen und am Volk wird über den Umweg Europa immer ungenierter vorbeiregiert. Währenddessen trommeln unsere Medien, dass es uns doch so wunderbar ‚gut geht‘.

Schrittweise werden Parlamente und  Rechtsstaat ausgehöhlt. Die veröffentlichte Meinung bildet die öffentliche Meinung nicht mehr ab, und eine You-tube Sendung kann Parteien erschüttern.  Die Not der politischen Unfähigkeit treibt die Parteien. Selbst in Deutschland geht der Vertrauensverlust an den ehemaligen Volksparteien nicht mehr spurlos vorbei. Deshalb ist die Flucht aus demokratischen Spielregeln angesagt. Die Politik 

  • begibt sich in Abhängigkeit zur Lobby und ihren Experten 
  • verwischt ihre Verantwortung durch eine konzeptionslose und kopflose Europapolitik 
  • betreibt immer hemmungsloser eine Umverteilung aus der Mitte der Gesellschaft nach OBEN 
  • setzt zur Beeinflussung der öffentlichen Meinung verstärkt auf die Steuerung der öffentlich-rechtlichen Medien.
  • baut den Rechtsstaat durch Aushebelung der Parlamente immer weiter ab
  • gefährdet mit ihrer Personalpolitik die Unabhängigkeit der Justiz und
  • löst schon lange keine Aufgaben mehr, sondern beschäftigt sich mit sich selbst.

Dem politisch-administrativen System mangelt es an Organisationsintelligenz, um auf die neuen komplexen Herausforderungen angemessen zu reagieren. – Sie können es nicht.

6. Zur möglichen Erneuerung des Parteiensystems

Die Parteiendemokratie könnte ihre Handlungsfähigkeit nur mit einer grundlegenden Veränderung administrativer Strukturen – also der Institutionen und Verfahren – wieder herstellen. Dazu ist sie weder institutionell noch personell in der Lage, denn es sind gerade die Strukturen, die ihr die politische Macht sichern.

Aus den Apparaten selbst sind Innovationen nicht zu erwarten. Sie lassen sich Aufgaben und Handeln von Lobbyisten diktieren. Die zentralistischen Administrationen sind richtlinienfixiert und nicht innovationsorientiert. Diese konservativen Grundhaltungen mischen sich mit der Politisierung der Administration, die zu Lasten ihrer fachlichen Qualifikation geht. Erforderlich wäre eine offene Kommunikation, die bürokratische Grenzen und Hierarchien überwindet. Aber wie soll das möglich sein, solange die Parteien die Versorgung von Parteimitgliedern in der Bürokratie als Hebel eigener Macht so dringend benötigt.

Viele junge Nachwuchskräfte in den alten Parteien fühlen sich ohnmächtig.  Darüber gibt eine Studie zur Befragung von Mandatsträgern Auskunft. Knapp 2000 Abgeordnete aus dem Bundestag, den Länderparlamenten und der größeren Städten wurden seit Sommer 2010 befragt. Die Befragungen erfolgten im Rahmen einer Studie der Stiftung Change Center und der Heinrich-Heine-Universität Düsseldorf. Nach Angaben der Verfasser sei die Erhebung repräsentativ, da die Parteizugehörigkeit der Befragten fast exakt die reale Verteilung in den Parlamenten widerspiegelte.

Aussagekräftig sind die Ergebnisse: Viele Abgeordnete in Deutschland fühlen sich machtlos, wenn es um gesellschaftliche Veränderungen geht. Sie begründen ihre mangelnden Handlungsmöglichkeiten und Handlungsfähigkeiten damit,  dass sie ‚vielfältigen Zwängen von Fraktionen und Apparaten’ unterliegen würden. „Eher seien die Bürger dafür verantwortlich“, die von den Parteieliten von jeglicher realen Mitsprache ausgeschlossen sind.

Selbst Mandatsträger sehen ihre Machtlosigkeit, die durch die Übermacht der Apparate erzeugt wird. Die Tatsache, dass sie selbst für die Bürokratie – ihr Ausmaß, ihre Verfahren und Institutionen – verantwortlich sind, ist ihnen offensichtlich nicht bewusst. Die Möglichkeit Bürokratie und Verfahren zu ändern, ist keinem Befragten in den Sinn gekommen. Das bedeutet, es gibt keine Perspektive dafür, dass sich das politische System aus eigener Kraft erneuern könnte. Nachwuchskräfte denken nicht einmal daran, dies zu tun. Das Ergebnis unterstreicht, dass eine Erneuerung von INNEN nahezu chancenlos ist.

Unsere Parteien haben sich in ihrem Machtkartell eingemauert. Sie sind hilflos. – Beispielhaft sind die Debatten in der Sozialdemokratie. Ihre Funktionäre verhalten sich wie erschrockene Kleinkinder, wenn es um die Neupositionierung der Partei geht. Auch im Parlament haben Parlamentarier nur noch eine nachvollziehende Legitimierungsfunktion. Insofern bezeichnete Vera Lengsfeld den Bundestag zu Recht als „Abnickinstitution“ wie die Volkskammer. Es gibt derzeit keine innere Kraft, der man eine Erneuerung sachlich und politisch zutrauen kann.

Fatal ist, dass wichtige Bereiche der Zivilgesellschaft faktisch eingekauft wurden und ihre kritische Distanz zur Politik verloren haben. Dies wirkt wie eine zusätzliche Innovationsbremse.  In einer angepassten Medienlandschaft und angepassten Institutionen der Zivilgesellschaft fehlen Kinder und Narren, die der Politik sagen könnten, dass „der Kaiser keine Kleider trägt.“

7. Ein Ausblick – den Neustart als Aufgabe annehmen

Die Probleme sind drängend, aber im Grundsatz bleibt alles beim Alten. Der Sozialstaat wird weiter abgewickelt. Die Umwelt bleibt weiterhin Beute des Finanzkapitalismus. Unsere Infrastruktur verfällt, Bildung wird Luxus und die Privatisierung von Autobahnen, Rettung von Banken und Kredite für EU-Staaten werden als ‚Politik für die Zukunft‘ verkauft. Es zeichnet sich ab, dass wir in Europa wahrscheinlich schon in kurzer Zeit eine Debatte über unsere wirtschaftliche Leistungsfähigkeit in der sich digital revolutionierenden Welt führen werden. Ob wir im globalen Kampf der neuen digitalen wirtschaftlichen Supermächte China, Süd-Ost-Asien und USA überhaupt noch realistische Chancen haben, ist derzeit nicht zu beurteilen.

Sicher ist aber, dass wir für angemessene Zukunftslösungen einen grundlegenden politischen Neustart brauchen. Politik muss offen, lernfähig und flexibel sein. Was an sich schon aussagt, dass es ein basisdemokratisches System sein muss. Lösungen dazu gibt es nur mit einer handlungsfähigen Zivilgesellschaft. Offen ist, ob nach einer langen Phase einer Politik der Fremdbestimmung ausreichend Kraft in der europäischen Zivilgesellschaft steckt. Einen Versuch ist es wert. Er sollte gestartet werden.  

Es geht jetzt nicht mehr darum,  nur zu protestieren. Dafür gibt es keine Adressaten. Das Ende des reinen Protestes ist angezeigt. Es geht um eine Strategie und um Schritte und Maßnahmen für eine neue politische Basis. Wie überwinden wir die Grenzen zwischen den vielfach konkurrierenden Gruppen der Zivilgesellschaft? Wie ist es möglich, politisch zu kooperieren, ohne sich an Unterschieden und selbst an politischen Widersprüchen abzuarbeiten? Ein Masterplan muss Lösungen anbieten und dazu neue Wege z.B. bei der Verbindung von neuen Verfahren digitaler Demokratie mit vorhandenen bewährten Abläufen. Grundlegend ist es, die Macht- und Legitimationsfragen einer offenen Gesellschaft zu klären. Nicht nur den Parteien, sondern einer jeglichen Politik müssen die Regeln vom Souverän vorgegeben werden. Dazu wird in einer weiteren Folge Stellung bezogen.

Handeln

Die Zukunft ist offen. Ich denke – mindestens hoffe ich -, dass wir als Bürgerinnen und Bürger noch die Chance auf grundlegende Reformen haben. Die Schwierigkeit besteht darin, dass die Bürgergesellschaft keine politische Gemeinschaft bildet, sondern äußerst unterschiedliche Interessen und Neigungen hat und entsprechend sehr unterschiedliche politische Ansätze verfolgt. Als zersplitterte Bürgergesellschaft hat sie in einer sich vom Volk abgehobenen politischen Kaste keine Chance – weder kann sie die politische Klasse zur Reformen bewegen, noch kann sie sich als eigenständige Kraft selbst entfalten.   

Appelle an gemeinsames Handeln, waren bisher vergeblich, weil es keine gemeinsame Klammer gab. Deshalb ist es wichtig, mir einer Bestandaufnahme als einen ersten gemeinsamen Akt zu beginnen. Was hat über den Tag reichende Bewegungen ausgemacht, wo hatten sie Erfolg und woran sind sie gescheitert. Welche konstruktiven Wege für neue Formen von Beteiligung gibt es schon und wie sollen sie künftig institutionell und verfahrenstechnisch organisiert werden. Welche Bausteine einer direkten Demokratie könnten in ein zukunftsweisendes Mosaik eingebracht werden? Die Umwelt braucht keine Parolen von Links oder Rechts, sondern Lösungen. Der Kräfte des alten Staates brauchen Spaltung und Unfrieden in der Zivilgesellschaft. Wir brauchen pragmatische und offene Denk- und Handlungsformen. 

Wer eine Gemeinschaft formen will, braucht den gemeinsamen (kleinen) Nenner, auf den sich alle Menschen einigen können, die Veränderungen wollen. Die Montagsdemonstranten in der DDR hatten diese gemeinsame Klammer. Die Gemeinschaft wurde zusammengehalten mit dem Anspruch: „Wir sind das Volk“. Damit haben sie gesagt, WIR (und nicht ihr im ZK oder in der Volkskammer) sind der Souverän. Gleiches galt in der französischen Revolution und der ihr folgenden Menschrechtserklärung. Wir sind der Souverän ist ein Anspruch, der den Demonstranten einen Status – eine formale Machtposition – gebracht hat:

Der Anspruch war: wir (nicht ihr) sprechen für das Volk. Damit traten die Demonstranten gleichsam aus ihrer Rolle in der Bürgergesellschaft aus und nahmen eine politische Position ein. Sie formulierten einen Macht- und Legitimationsanspruch. Sie waren die Kraft der Zivilgesellschaft. In diesem Akt lag auch die vereinigende Kraft der Montagsdemonstrationen. Die Aussage war: es geht uns um viele Dinge, aber wir fragen nicht was uns trennt, sondern wir tragen ein gemeinsames Banner, das unseren Anspruch demonstriert. Wir bitte nicht darum, dass man uns Volksabstimmungen schenkt, sondern wir demonstrieren unsere Souveränität. Dieser Anspruch muss sein, er ist die Basis für alle weiteren Schritte.

In der DDR hat der Legitimationsdruck gereicht, um das System in die Defensive zu bringen. Dies ist weder in Deutschland noch in Europa in gleicher Form zu erwarten, weil ganz offensichtlich nicht Parlamente und Regierungen, sondern die Lobby des großen Finanzkapitals die Richtung vorgeben. Veränderungen brauchen deshalb einen ‚langen Atem‘. Dieser Weg sollte genutzt werden, um rund um kritische Themen eine handlungsfähige Zivilgesellschaft aufzubauen und gleichzeitig Parteien und Administration in die Defensive zu bringen. Wichtig ist, dass bei der Themenentwicklung von vornherein beachtet wird, dass die Aktionen eine vergleichbare formale Qualität bekommen. Ferner sollten ebenfalls von Anfang an traditionelle Aktionsformen wie Runde Tische, Bürgerkonferenzen und Regionalkonferenzen im Zusammenhang mit neuen Formen digitaler Direktdemokratie eingesetzt werden. Das Konzept der wirtschaftlichen Plattformstrategie sollte dafür in modifizierter Form eingesetzt werden. Unbedingt erforderlich ist ein ganzheitliches Vorgehen. Das Verfahren sollte dokumentiert und medial begleitet, kommentiert und weiter getragen werden. Dabei sollte auch dem Aspekt der Grenz- und Sprachüberschreitenden Kommunikation Rechnung getragen werden. 

Dazu einige Beispiele Kernthemen, die seit langem im politischen Brennpunkt stehen:

  • Umweltschutz, gesunde Ernährung, Klimawandel
  • Infrastruktur, Qualität, Privatisierung

Die Kernthemen können mit wechselnden politischen Themen ‚garniert‘  werden. Dieser Punkt wird später ausgeführt.

Jede Veranstaltungsreihe hat mehrere Etappen

  1. Vorbereitung und Start
  2. die Entscheidung
  3. die Begleitung durch Instrumente der direkten Demokratie
  4. die Verbreitung über das Netz

Vor dem Start wird eine Veranstaltungsreihe zu den Themen angekündigt und es wird vorinformiert. Wenn möglich sollte eine digitale Meinungsbefragung über die Bürgermeinung zum Thema durchgeführt werden.

Dann wird zu Veranstaltungen eingeladen. Diese  Veranstaltungen können als Konferenzen zur Bürgerinformation allgemein informieren oder als Runde Tische primär als Fachveranstaltungen durchgeführt werden. 

Wichtig ist, dass die Themen sorgfältig protokolliert werden, um

  1. vergleichbare Veranstaltungen auf andere Regionen übertragen zu können
  2. Schwachpunkte der Veranstaltungen zu erkennen
  3. Stärken zu identifizieren und auszubauen
  4. das Interesse zu wecken, dass sich die Anwesenden auch nachträglich noch mit der Materie beschäftigen können.  

Jede weitere Aktion sollte den grundlegenden Anspruch auf Selbstbestimmung verbinden mit konkreten politischen Maßnahmen. Mit denen kann man zeigen, was anders laufen muss in Deutschland und Europa und wie es anders laufen kann.

Heinz Kruse (Buchautor und ehem. Wirtschaftsdezernent)
Heinz Kruse (Buchautor und ehem. Wirtschaftsdezernent)https://www.verfassung-vom-volk.org
Heinz Kruse war im Bereich der Wirtschafts- und Strukturpolitik des Landes Nordrhein-Westfalen sowie als Wirtschaftsdezernent der niedersächsischen Landeshauptstadt Hannover tätig. Er war Vorsitzender des Vereins Verfassung vom Volk e. V. und ist Buchautor. Er hat sich auf die Betrachtung von Strukturen der Politik spezialisiert und hat diese auch in seinen Veröffentlichungen thematisiert. So ist er recht früh (1989) der Frage nachgegangen, wie man durch Regionalisierung die politische Strukturen modernisieren kann. (Reform durch Regionalisierung, Campus-Verlag, 1989).

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